Irdische Dramen

Am sonnigen Abhang
                   der fliehenden Jahre,
im bläulichen Schatten
                    der bangen Erwartung
verfolge ich achtsam,
                 gespannt und bedachtsam
im Freilichttheater
                   des hektischen Lebens
das herrliche Spiel der Natur,
               die Pracht und den Zauber
der Felder und Wiesen,
                    der Berge und Täler,
der blühenden Flur –
                meiner Hoffnungsgefilde:
Ihr Gewissen ist sauber,
                 wie Quellwasser lauter.
Ergreifende Szenen und Bilder!..

               ***
Es säen behutsam –
          wie immer – die Säer den Samen
des Schönen und Guten,
                   des sinnvollen Lebens.
Doch geht ohne Regen
                 die Saat oft nicht auf.
Und siehe: Das Schicksal –
                   es nimmt seinen Lauf.
Drum gibt es auch irdische Dramen
                    und stille Tragödien
der Flüsse und Seen,
                    der Tiere und Vögel.
Und der friedlichen Säer wohl auch.

              ***
Mit Erdbeben, wütenden Stürmen
           und alles verheerenden Dürren
muss oftmals der Mensch eben ringen.
    Doch kann ihn kein Unheil verwirren:
Alle Kraft setzt er ein –
    die der Muskeln,
              des Geistes und Willens -,
um sie, die Naturgewalten,
      als denkender Mensch zu bezwingen.
Und den erbarmungslosen
                       Naturkatastrophen
er furchtlos und kühn widersteht:
        Um das Leben, ums Leben es geht!

              ***
Doch selten nur suchen uns heim
                       Naturkatastrophen
in unserem Hofe,
            in unserem Hause,
                       in unserem Heim –
auf der herrlichen Erde.
Von manchem Desaster
         verschont uns die Mutter Natur.
Nur zu oft sind’s abscheuliche Laster,
verhängt vom Niveau und Charakter
                   der Moral und Kultur:
Der Mensch muss noch lauterer werden!
Noch umschleicht uns die Lüge,
                spinnt fleißig Intrigen,
um die menschliche Seele
            in Versuchung zu führen,
um sie zu verlocken
               zum Schlechten und Bösen,
dass die Quelle des Glaubens
                 an das Gute im Menschen
allmählich versiege,
       dass die Kraft aller Gutherzigkeit
dem Verfall unterliege.
Noch mancherlei gähnende Lücken
                   da gibt’s im Gewissen
verschiedener Menschen
          (ganz egal, wie sie heißen!) –
der Schaumschläger, Windbeutel,
                             Dickhäuter,
der Erzgauner, Ausbeuter,
          der Engstirnigkeitspräsidenten
und aller, die leider verkäuflich…

                    ***
Ein erbittertes Ringen
         der Völker um Selbstbestimmung,
um Freiheit und Eintracht und Frieden.
Ein Chor, millionenstimmig:
                     Sein mahnendes Lied
hallt im Weltenall wider
                  als Gebot unsrer Zeit:
Verdammt
         seien Fesseln
                       und Ketten
                              und Zwang!
Ein weltweites Nein
    dem die noch grünende Hoffnung
            der Menschheit zerstörenden,
    dem alles auf Erden verzehrenden
                      furchtbaren Krieg!
O Menschen, handelt wie Menschen,
                umschlingt euch wie Brüder,
dass die Menschlichkeit siegt
           und für immer bezwingt
                      das irdische Leid,
die irdischen Dramen,
              die abwendbaren Tragödien,
damit unser einziges Heim –
            die blühende Erde –
                    erhalten uns bleibt!

                  ***
Auf unserem schönen Planeten
                   sind die Grenzen
                          des Vertrauens
    zwischen so manchen Ländern
         abgesteckt mit Raketen
                           des Grauens.
Und diese Jahrhundertgewalttäter
                          werden geboren
                vom Geiste des Menschen.
(Aus Übermut?
        Aus Zorn und aus Wut?
           Aus beklemmendem Angstgefühl?
Aus berechtigtem Lebenserhaltungstrieb?)
Doch wenn das Inferno begänne,
     das nukleare,
            in die zehnte Potenz erhoben
durch Sternenkriegslaserstrahlen
und anderen Massenvernichtungswaffen,
            so wäre wohl alles verloren:
Die gütige Erde –
       sie würde es nimmermehr schaffen.
           Es wäre eine höllische Marter.
Auch für Überlebende.
           Die noch am Leben Gebliebenen
würde der Kältetod lauernd erwarten …

                   ***
Ein Großväterchen und Mütterchen
    schleppen sich – sanft und gebeugt –
nur noch langsam dahin,
                  sie verstehen den Sinn
der verflossenen Jahre.
        Der Weg den die beiden
                  zu gehen noch haben, –
er ist nicht mehr weit.
                 Ihnen reicht ihre Zeit.
(Sind’s Monde? Sind’s Tage?
          Sind’s schweigende Stunden?..)
Sie haben sich längst überwunden:
Es winkt ihnen zu schon die ewige Ruh…

                   ***
Und dort kommt des Weges
        ein junges und stattliches Paar.
Und trotz atomarer Gefahr,
    die den Kommenden droht
            mit dem Strahl in der Faust,
    ziehen sie freudig und froh
                           in die Weiten
                   der Erdentage hinaus:
Ins Leben verliebt,
      der Sonne des Friedens vertrauend,
und hoffend und glaubend,
           dass das Gute das Böse besiegt
auf unserem blauen Planeten,
        eilen sie vorwärts und schreiten
dem Frührot eines besseren,
           schöneren Morgens entgegen…
O Menschheit!
         Hoch sollst du leben!
                         Immer und ewig!

1986

Gabriele

     1
Gabriele, Gabriele!
Ob wir uns denn nicht verzählen?
Vierzehn Jahre bist du alt!
„Oh! Sie wünschen?.. Sie befehlen?..“
Bist bemüht, es zu verhehlen,
doch dein junges Blut schon wallt.

Deine Augen, himmelblauen,
allem auf der Welt vertrauen.
Denn du bist ja noch ein Kind.
Mädchen werden einstmals Frauen.
Deshalb deine Augen schauen,
wie es die Natur bestimmt:

Treu und ehrlich, sanft und offen,
manchmal aber auch betroffen –
blau wie blaues Himmelblau.
Deiner Jugend frohes Hoffen,
deiner Freuden leises Pochen
spiegeln sich darin genau…

Ja, wie soll ich dir es sagen?..
Stehst vor einem Berg von Fragen.
Eilst voran in vollem Lauf.
Und mit jedem neuen Tage
deine jungen Flügel tragen
weiter dich den Berg hinauf.

Mannigfaltig ist das Leben.
Hier die grünen Wiesen weben
einen Teppich, bunt und weich.
Dort die Fähren, aufwärtsstrebend
und zum Gruß die Äste hebend,
schmücken aus ihr Schattenreich.

Auf den Dräten sitzen Schwalben,
und sie zwitschern deinethalben
froh ein Sommerlied in Dur.
Und die Pilze auf der Halde
fragen: „Wird es regnen balde?“,
müde von der Sonnenkur.

In den Lüften Lärchen hängen,
und die Sonnenstrahlen sengen,
leise sirrt die Mittagsglut.
Und die Weiten sich verengen,
die Gedanken heiß umdrängen…
Gabi aber findet Mut…

„Sonnenregen, Sonnenregen“,
bittet Gabi fast verlegen,
„schenke uns dein edles Nass!
Auch die Gräser dort am Wege
haben sicher nichts dagegen,
denn ihr Grün wird langsam blass.“

Gabi mit den blauen Augen
es versteht, herbeizuzaubern
das, wonach die Erde lechzt…
Einen Zauber sich erlauben
darf man wohl, nur muss man glauben
dass nur Gutes draus erwächst…

Und die grauen Schäferwolken
färben sich, dem Sprüchlein folgend,
dunkel, weil es regnen muss:
Schnell den Donner noch besorgen,
der da schlummert halbverborgen –
und es strömt ein Regenguss!..

             2 
Helle Wolken ziehn vorüber,
und die Sonne lächelt wieder
nach dem schönen Regenguss.
freudetrunken wie auf Flügeln
zu den Schülern dort am Fluss.

Hier am Ufer aufgeschlagen
ist das Sommerferienlager
„Helfen-wir-den-Eltern-mit!“.
Und es leitet Gabi Rady
die Gemüsebaubrigade
sachverständig und geschickt.

Pioniere, Pioniere
durch ihr Heute hier marschieren,
dass das Morgen schöner wird.
Krass sie ihren Weg skizzieren,
der sie vorwärts nur wird führen –
hoffnungsvoll und unbeirrt…

Nach dem schönen Sommerregen
almet ringsum neues Leben.
„Jungs und Mädchen, los jetzt, schnell“
Wer gewacht und wer gelegen,
wer geträumt vom blauen Segel –
alle eilen auf das Feld.

Und sie jäten, und sie hacken,
und sie plappern, und sie lachen,
und sie singen manches Lied.
Unkraut rupfend flink und wacker,
alle fleißig zu da packen…
Und nur einer ist schon „müd“.

„Stärkt die Faulheit nicht die Glieder?“
fragt der Possenreißer Frieder
„Ruhe macht das Leben süß!“
Deine Scherze klingen bieder“,
Rosalinde ihm erwidert.
„Sei, Fedjuntschik, mir gegrüßt!“
„Seht ihr nicht, das Eiferts Lieschen
ist so rund wie ein Radieschen!
Klar, sie liebt die Arbeit nicht.
Doch die zuckersüßen Grübchen!..
Lieschen, guck nicht so verdrießlich:
,…kommt ein Prinz, verliebt in dich!'“

„Ach, du lange Hopfenstange,
meinst, ich bettle gleich befangen:
‚Fedja, biet mir endlich Schutz!‘
Kannst dich schön um andre bangen.
Und was war, das ist vergangen…“
Friedrich schaut sie an verdutzt…

„Jungs und Mädchen, meine Lieben,
noch ein bisschen ist geblieben,
und das Unkraut ist vertilgt!
Morgen geht es an die Zwiebeln
und am Montag an die Rüben –
dass der Regen auch was hilft.“

Alle sich im Nu verwandeln…
„Und am Wochenende wandern
in die Berge wir hinaus!
Was wir brauchen, ist vorhanden –
Rucksack, Stock und Freundschaftsbande…
Kommt, es wartet schon der Schmaus!..“

Lärmend laufen sie umschlungen,
und ein Lied wird noch gesungen.
Lieschen wie ein Täubchen gurrt…
Einen wahren Bärenhunger
haben nicht allein die Jungen,
und der Magen murrt und knurrt.

Gegen jeden Brauch verstöße
man, gäb’s keine Butterklöße
(mit dem frischen süßen Rahm!):
Traurig da Wolodja säße,
und Murat wär bitterböse
und Johannes flügellahm.

Klöße… dampfen auf den Tischen.
Jeder kann sich nun erfrischen.
Jeder auch sein Soll erfüllt!
Brot und Wurst wird aufgeschnitten:
Esst und trinkt und labt euch bitte!
Euren Hunger, Kinder, stillt!..

Heute kommen ihre Paten.
Nach der sachlichen Beratung
ein Konzert für sie erklingt,
das erzählt von jenen Taten,
die der Nachwuchs, wohlgeraten,
jeden neuen Tag vollbringt…

               3
Gabriele, Gabriele!
Schöne Tage gibt’s im Leben,
wo das Herz uns höher schlägt,
wo der reiche Erntesegen
und die Wünsche, dir wir hegen,
hell erleuchten unsern Weg.

Lichterlohes Lagerfeuer.
Stunden, die das Herz erfreuen.
„Erntefest!“ Das Spruchband prangt.
Das Erblühen und Gedeihen
heut die Pioniere weihen
ihrem lieben Heimatland.

Gurken, Zwiebeln und Tomaten,
rote Rüben und Salate
schmücken bunt das Erntefest.
Das Gemüse ist geraten,
reich gedeckt ist heut die Tafel:
Alles, was sich denken lässt!

Und die jungen Pioniere
stolz den Gästen demonstrieren,
wie die Sonne heiß geglüht,
was man alles kann vollführen,
wenn die Hände fleißig rühren,
was man – arbeitsfroh – erzielt.

Und die Neulandveteranen
sehen, dass der Neulandsamen,
der vor Jahr und Tag gesät,
bricht sich neue Lebensbahnen;
und es ist nicht schwer zu ahnen:
Richtig ist der Weg gewählt.

Heute sind es schon die Enkel,
die den Lauf der Dinge lenken,
mit den Vätern fest vereint,
Herz und Hand der Heimat schenken
und ans Jahr ZWEITAUSEND denken,
dass auch dann die Sonne scheint…

              4
Schnell ist auch der Herbst vergangen.
Weiter geht es unbefangen:
Fleißig lernen sie jetzt Trumpf!
Wie der Sichel und der Hammer
halten alle stets zusammen:
Einheit nur genießt Triumph!

Und sie gehen – kaum zu fassen! –
stolz schon in die achte Klasse.
KOMSOMOLZEN sind sie jetzt!
Unermüdlich ist ihr Schaffen,
und im Träumen und im Wachen
sie der Tatendrang ergötzt.

Ja, die Komsomolzen müssen
vieles können, Wissen Fortschritt heißt.
Doch erst rein ist dein Gewissen,
wenn der Fahne, die wir hissen,
deine Treue du beweist.

Was vom Morgen wir ersehnen,
stellt uns oftmals vor Probleme,
meist verwickelt sonderlich.
Hürden, gilt es, dann zu nehmen.
Und es gibt kein Eingewöhnen,
bis der Mut die Schranken bricht.

Ständig wächst das Interesse,
und die Komsomolzen schrecken
nie vor Unbilden zurück.
Heiße Wissbegier erweckend,
so viel Neues sie entdecken –
oftmals auch zutiefst verzwickt.

Kraft anlegen kannst du immer.
‚Neue Höhen stets erklimme!‘
heißt dein Komsomolauftrag.
All dein Mühen und dein Sinnen
widme deiner Heimat: innig,
Nutzen bringend Tag für Tag…

Dein Elan hat Frucht getragen?
Leitest einen Zirkel, Gabi?
Ja? ‚Der Mensch und die Natur‘?
Dein Bemühen ist erhaben:
Hilf den Menschen! Sorge trage
um das Tierreich, Wald und Flur!..

Kommt der schöne Sommer wieder,
singt ihr eure Lieblingslieder
fröhlich auf dem Rübenfeld.
Lämmerwolken ziehn vorüber.
Warmer Regen geht dann nieder,
der zur rechten Zeit bestellt…

Komsomolzen, kämpft entschieden
für Gerechtigkeit und Frieden,
gegen Hader, Zwist und Krieg!
Wenn die Menschen sich verbrüdern,
muss das Böse unterliegen.
Frieden ist der größte Sieg!

Gabriele, Gabriele,
rastlos und aus tiefster Seele
setzt euch für das Gute ein!
Alle Völker einst erwählen
in dem edlen Freiheitsstreben
euren Weg, voll Sonnenschein.

1984

Hänschen und Lischen

     Märchen

          1.
Sieben-Tage-Regenwetter
hieß das kleine Königreich.
Und der König war ein Vetter
selbst vom allerhöchsten
                   Schleich.
Sieben-Tage Regenwetter
auch der König selber hieß.
Und er war ein eitler Spötter,
dünkelhaft und dumm und mies.
„Alles kann ich mir erlauben!
Hart und starr ist ja mein Sinn.
Und ich mache alle glauben,
dass der liebe Gott ich bin!
Und solange ich regiere,
soll es regnen jeden Tag,
dass die Leutchen es
                    verspüren –
alles kommt, wie ich es mag!..“
Oh, die schwarzen
                Wetterwolken!..
Er benutzte sie als Zucht:
Ewig drohte er dem Volke
frech mit schwerem
                  Wolkenbruch.
„Ich versorge euch mit
                       Wasser:
Kocht euch Wasser dick und
                        johlt!
Fasten werde ich euch lassen,
bis ihr euch den Rest geholt!..“
Und so haben denn die
                      Wolken –
in der ganzen Welt beliebt –
hier als Unheil nur gegolten
und das ganze Land betrübt…

           2.
Und noch eine böse Sieben
war die Königin dazu.
Stets von Zanksucht
                  angetrieben,
ließ sie niemanden in Ruh.
Auch ihr Stiefkind sie nicht
                        mochte
(sieben Jahre war es alt),
mit dem Nudelholz sie’s pochte
wie den allerletzten Schalk.
Ließ dann eine Hexe kommen
und befahl ihr: „Ich
                    verlang’s,
mach aus Liese, dieser Frommen,
eine wilde Ringelgans!
Wenn sie sich nach sieben
                        Jahren
noch zu widersprechen traut,
gebe ich sie ohne Zagen
gern dem Waldgeist ab als
                     Braut!..“
Und so wackelte die Kleine,
ganz verstoßen und allein,
bittre Gänsetränen weinend,
in den dunklen Wald hinein.
Aber ihre Siebensachen –
sieben Steinchen, bunt und
                      schön, –
sie verschluckte… Was nun
                       machen?
Soll ich dort zugrunde gehn?
Und es regnete und schneite,
und im Walde war es kalt…
‚Käm ein Prinz, der mich
                      befreite
von des Zauberspruchs
                    Gewalt!..‘

          3.
In demselben trüben Lande
lebte auch der kleine Hans.
Wie für alle Anverwandten
war sein Los die Daseinsangst.
In dem tristen Königreiche
war die Armut rings zu Haus.
Nichts zu brechen und zu
                       beißen,
zog man in die Welt hinaus.
Um ein Stückchen schwarzes
                         Brot,
musste sich der Hans erkühnen,
denn es trieb ihn fort die
                          Not.
Sieben Tag‘ und sieben Nächte
wandelte er durch das Land.
Ringsum war das Volk
                   verknechtet
und zu Hungersnot verdammt.
Und so kam er bis zum König –
auf der Suche nach dem Brot.
Und er graulte sich nicht
                       wenig –
ein Erlass dem Volk verbot,
sich in seinem Schloss zu
                       zeigen,
ohne dass er es gewollt.
Hänschen aber war nicht
                       feige –
stammte er doch aus dem Volk!..
Frohgestimmt war der Gebieter:
„Bist ein Glückspilz,
                    sackerlot!
Darfst bei mir die Gänse hüten
für ein Stückchen Kleienbrot!
Geht die eine Gans verloren…
h„… dann bist du übel dran…
In der Pfanne wirst du
                   schmoren…
h„… na, für den zweiten
                      Gang!..“

          4.
Und fast ganze sieben Jahre
war das Hänschen Gänsehirt
und vermochte zu bewahren
jedes Gänschen für den Wirt.
Zogen Wolken sich zusammen,
drohte schon der Griff des
                      Strangs,
schirmte ihn vor dem Tyrannen
eine wilde Ringelgans.
Schnell kam sie zu Hans
                      geflogen
mit dem nöt’gen Gänsezug,
schnatterte ihm zu gewogen,
was da hieß: „Für heut genug?“
Sieben bunte Federn
                    schmückten
schlicht das schwarze Kleid
                     der Gans.
Hans berückte und bedrückte
jedesmal der goldne Glanz…
Eines Tages lässt sich nieder
seine Freundin tief betrübt.
Und er streichelt ihr
                    Gefieder –

und ein Wunder da geschieht:
Alle sieben bunten Federn
hält der Hans in seiner Hand,
und ein wunderschönes Mädchen
ist die wilde Ringelgans.
Und mit Tränen in den Augen
und vor Kummer sterbensmatt,
klagt ihm Lischen nun den
                       Zauber,
der sie jäh verwandelt hat…

            5.
„…Oh, zerreiß die
                 Zauberketten,
wenn dein Herz mein Leid
                     versteht!
Heute kannst du uns noch
                       retten,
morgen ist es schon zu spät.
Nimm die sieben bunten Federn
und die sieben Steinchen hier,
schmied sie um zu sieben
                       Säbeln,
‚Freiheit!‘ schreib auf dein
                    Panier…“
Siebentausend blanke Säbel,
Sensen, Gabeln – was sich
                        fand –
stritten mutig für ein Leben
ohne Joch und Zauberbann…
Sieben-Tage-Regenwetter
floh aus seinem Königreich,
und es halfen ihm kein Vetter
und kein Zauber und kein
                      Scheich.
Und die Königin, die böse,
wies man aus dem Lande aus:
Krumm wie ein verfluchtes
                        Wesen,
machte sie sich aus dem
                      Staub…

         * * *
Sieben Tag‘ und sieben Nächte
dauert schon die Hochzeit an…
Jeder gern begrüßen möchte
herzlich Braut und Bräutigam.
Hans und seiner Auserwählten
wird Bewunderung gezollt:
Glücklich sind die
                Neuvermählten,
glücklich ist das ganze Volk…
Nieder geht ein warmer Regen,
hell danach der Sonne Schein.
Freude, Frieden, Glück und Segen
ziehn in jedes Haus nun ein.

1984

Fünf Ausschnitte aus unserem Jahrhundert

         1.
Die Schritte
unseres Jahrhunderts hallen wider
in den Herzen vieler
       Millionen Menschen
                in der ganzen Welt
als Sturmgeläut,
       als der Posaunen heller Ton
und als befreiendes Gewitter
            der Oktoberrevolution,
als Signale
            der Internationale,
als Oratorien und Sinfonien
der Freiheit und Gerechtigkeit…

        2.
Die Schritte
unseres Jahrhunderts hallen wider
in den Herzen
            der Lebenden und Toten
und derer, die noch nicht geboren,
als Requiem,
als Klagelied und Schmerzensschrei
der Mütter,
       die ihre Söhne,
          von käuflichen Subjekten
als „Feinde“
           des Volkes denunziert,
als schuldlos Schuldige verloren,
ihre Söhne, die ihr Herzblut hingegeben
für ein wahrhaft freies Leben
        in den finstren Kasematten
der unheilvollen Tyrannei
     der Jeshow- und Berijazeit…

         3.
Die Schritte
unseres Jahrhunderts hallen wider
in den Herzen vieler
        Generationen meiner Heimat
als Wehklage und Jammer
der Mütter,
        die im Grabe noch beweinen
ihre Söhne,
die auf dem Schlachtfeld,
        in den heißen Flammen,
                    im Höllenbrand
des aufgezwungenen Krieges
               sich geopfert alle,
um den faschistischen Aggressor,
den gemeinen,
          auf die Knie zu zwingen;
als Fanfarenklänge
     des schwer erkämpften Sieges;
als Klagetöne
            in Erinnerung an jene,
die gefallen
             für das Vaterland…

            4.
Die Schritte
unseres Jahrhunderts hallen wider
in den warmen Herzen
               meiner Zeitgenossen
als neue Melodie,
           als neues Frühlingslied
der Harmonie
und als Appell an das Gewissen
unserer Epoche,
als neues Denken,
               als Ruf und Schwung
des Aufgebots
zur Umgestaltung und Erneuerung
            in meinem Heimatlande,
um jene Hindernisse,
         die uns im Wege standen –
die Stagnation und Flaute
                 mit ihren Tücken,
die Teilnahmslosigkeit
mit all den kleinen
           und den großen Sünden –
zu überwinden
          und zu überbrücken,
     damit die Saat der Offenheit,
die Saat des Rechts
            und der Gerechtigkeit,
die Saat des Lauternen und Guten
   auf allen Feldern, allen Fluren für
uns ergrünt und blüht…

               5.
Die Schritte
    unseres Jahrhunderts,
                 das bald vorüber,
hallen wider
in den Herzen
      aller Menschen guten Willens
als heißersehnte Ouvertüre,
als millionenstimmiger Chorgesang
des Kampfes um den Frieden
für alle, alle Mütter,
             für alle Erdenkinder,
damit sich ihre Träume,
         ihre Hoffnungen erfüllen,
damit allendlich siegt
         die menschliche Vernunft,
damit auf unserem Planeten
Gewalt und Zwang
     der mit Atomsprengköpfen
        kopiös gesättigten Raketen
für alle Zeit verschwinden,
damit das unfassbare Wunder –
        das E r d e n l e b e n ,
das tatenreiche, schöne, bunte,
    sinnvoll-menschenwürdige Leben
für Jahrmillionen,
                   bis in Äonen
gedeiht, floriert
            und die bewegte Stimme
seiner Blüte nie verstummt.

1987

Erdgebunden

Wirrsal

Es ist öde und kalt
dort im düsteren Wald.
Und der Blätterabfall
ist nicht zu verhindern.
Und die Nächte sind lang.
Und die Träume sind bang.
Und vor Sehnsucht vergeht
da die einsame Linde,
die am Waldrande steht…
Dann Winter. Und Stürme…
Und wird sie die Wirrnis
und Angst überwinden?

Egozentrisch?

Ich schlucke CORDARONE
(drei Pillen jeden Tag),
damit es mich verschone
vor einem Herzanfall,
vor einem Schicksalsschlag,
vor Willkür und Gewalt,
vor jeder Schreckgestalt…
Mein Sinnen ist (verständlich!)
so ziemlich egozentrisch…
Wer hofft, der findet Halt?

Sklerose

Ich gehe zum Arzt.
Um den Blutdruck zu messen.
Damit man mir sagt:
ä190 – 130 …ä
(Das fühl ich, das weiß ich.)
„Sie müssen mehr schlafen.
Und arbeiten dürfen Sie nicht.
Und gehen Sie fleißig,
mein Lieber, ins Freie
und schnappen Sie Luft…“
Ich bedanke mich schuldbewusst
und eile nach Hause.
Und schnell an den Tisch:
‚So ein schöner Gedanke!‘
Und ich sitze und schwitze:
Ich habe ihn wieder vergessen.

Auf Kandare

Ich renne und renne.
Bin ich ein Renner?
Wer hat mich aufgezäumt?
Wer hat mich gesattelt?
Wer drückt mir die Sporen
erbost in die Weichen?
Wer presst mir mit Stiefeln
meine fliegenden Flanken?
Wer schindet und hetzt mich?
Vielleicht… die Gedanken?

Tiefempfunden

Die Bitternis, sorgenbeladen,
hat Angst vor der Mauer
der Verständnislosigkeit
und möchte der Welt entfliehen.
Den Wermut am Zaun dort –
den hat sie vor Gram übersehen.
Ihren Schmerz tiefempfunden,
schaut er ihr kummervoll nach
und würde so gern sie bedauern.
Denn auch er ist ja erdgebunden
und weiß, was Wehmut heißt
und innere Einsamkeit.

Schluckauf

So mancher Mann,
der an der Quelle sitzt, –
der trinkt und isst,
so viel er will,
so viel er kann…
Doch ich beneide
diese Raffer nicht.
Sie kriegen oft den Schlucken
und greinen dann und muckern,
sie würden stets verkürzt.

… dass ich bin

Wie ein Maulwurf,
der dem Boden verhaftet,
wühle ich auf –
den Berg der Gefühle
und suche, halb blind,
nach dem Sinn
meines irdischen Lebens.
Doch alles vergebens:
Ich kann in den Klüften
keine Antwort finden…
Liegt der Sinn nicht darin,
dass ich heute noch bin?

Getrennt

Erwartung und Freude.
Sie suchen einander
und können und können
einander nicht finden.
So wandern und wandern
sie getrennt durch das Leben:
Die Welt ist zu groß
und der Himmel zu hoch
und die Erde zu klein…
Wie sollte man sich da begegnen?

Die letzten Kuppen

So fasse dich, mein Herz!
Bis zu jenem Gipfel,
den du erklimmen möchtest,
ist es nicht mehr weit.
Noch ein paar Felsenzinnen
hast du zu bezwingen;
dann stehst du vor der Nacht,
die dich verschlingt für immer.

Trost

Dein Kummer ist groß.
Du sehnst dich nach Wärme.
Du möchtest die Güte umarmen,
um dein Herz ihr auszuschütten
und zu ruhen in ihrem Schoß…
So eile hin ins Tal der Gnade
und knie dort nieder und bete.
Und die weichen, warmen Farben
der Dahlien der Hoffnung
erwärmen dich und spenden Trost.

27. September 1990

Kuriositäten

Erdenleid

Eine Rose, voll entfaltet?
Da ein Veilchen, veilchenblau?..
Ach die Zeilen sind veraltet.
Und der Tag ist wieder grau:
Eine blütenlose Rose.
Und ein Veilchen ohne Blüten…
Sind das aber Kuriosa,
die mein Erdenleid behüten!

Zu spät

Ach liebes Fräulein Später,
wozu nur das Gezeter!
Verheiratet ist nun der Peter.
So kommen Sie doch mal später.
Na, wollen wir mal sagen,
nach vierzig-fünfzig Jahren.
Dann werden Sie erfahren,
ob die beiden glücklich waren.

Wonne

Weinen kann der Heino!
Wenn er will, auch greinen.
Wenn er will, auch wimmern.
Oh, dann wird es schlimmer:
Seinen Hut hat er verloren
und die Ohren angefroren!
Denn es sticht die heiße Sonne.
Und er weint vor lauter Wonne.

Philippika

Sein Traum ist gescheitert:
Seine Braut, die Christine,
ist ihm direkt von der Hochzeit
heimlich (!) davongelaufen…
„Mir die Haare ausraufen?
I bewahre! Und: Pustekuchen!!
Ich bestelle mir eine Philine
aus dem Märchenland Philippinen!“

Das Rasenstück

Auf dem Erdboden liebt sie zu sitzen
(Ein Instinkt aus uralten Zeiten?),
doch wohnt sie im siebenten Stock.
Das Mütterlein ist aber witzig:
Sie holt sich allmählich hinauf
(wenn auch hoch ist das Haus!)
einen tüchtigen Rasenstreifen,
worauf sie dann stundenlang hockt.

Schildbürger?

Ob der Mann aus Schilda stammt,
hat er gar Gene mitbekommen –
vom sagenhaften König Sisyphus,
ist, liebe Leute, nicht bewiesen.
Doch wenn er seine Blumen gießen muss,
schleppt das Wasser er aufs Dach hinauf
und sprengt die zarten Blümelein
mit einem rauhen Wasserschlauch.

Der Dreh

Der Wirt ist da, um seine Gäste
zu bewirten.
Doch gibt es nichts im ganzen Hause
aufzutischen…
„Wir gehen angeln, liebe Freunde!
Frische Fische –
das ist ein Schmaus für Leckermäuler,
sollt ihr wissen!“

Sie selbst

Er liebte sie sein Leben lang.
Drum hielt er sich verborgen.
Sie hatte aber keinen Mann.
Das machte ihm viel Sorgen…
Dann suchte sie ihn selber auf
und nahm ihn gleich gefangen…
Jetzt lachen sie und sind wohlauf
und stillen ihr Verlangen.

Happy-End

An einen Strohhalm klammert sich,
wer am Ertrinken ist.
Die Tiefen sind so fürchterlich:
Da hilft dir keine List…
Er ist der beste Prätendent:
Ihr Lächeln macht ihm Mut.
Er wartet auf das Happy-End
und … stürzt sich in die Flut.

Verwickelt

Die Nacht ist in den Tag verliebt.
Doch morgens muss sie scheiden.
Wo’s aber keine Sonne gibt?
Darf sie bei ihm dort bleiben?..
Verwickelt ist der Lebensweg:
Du kommst und musst dann gehen…
Doch hast du selbst geliebt-gelebt,
wirst du den Sinn verstehen.

 14. Oktober 1990

Licht und Finsternis

Verschneite Pfade

Ein Einschreibebrief.
(Sein Weg ist weit!)
Und eingepackt
in Zwischenzeilen,
liegen darin
meine Schmerzen.
Denn die Pfade
zu deinem Herzen
sind schon so lange
tief verschneit…
Ob meine Botschaft
dich endlich erreicht?

Nostalgie

Wo wandelt die Gnade?
Sie schweigt und schweigt.
Erhört sie denn nicht
mein stilles Gebet?
Und warum, ja warum?
Ist sie taub? Oder stumm?
Oder kommt meine Bitte
ein Jahrhundert zu spät?
Ober ist’s noch zu früh,
die Seele zu trösten?
Nostalgie. Nostalgie!..
Wann ist sie am größten?
In diesem Jahrhundert?
Oder später? Im nächsten?

Hochgefühl

Kein einzig Wort,
das aus dem Reich
der ersten Liebe kommt,
kann leer sein oder kalt.
Auch wenn die Glut
in deinem Blut
schon längst erloschen ist,
so fühlst du dann und wann
noch einen Widerhall,
der dich ergreift
und stundenlang
dir keine Ruhe lässt:
Ein Hochgefühl!
Ein Freudenfest!

Hoher Zoll

Gestern Sonnenschein.
Mit Hoffnungsstrahlen.
Und heute Regen.
Mit Herzensqualen.
Und morgen? Finsternis
in deiner Seele?..
Wenn trüb und ungewiss
die Zukunft ist,
muss die Bekümmernis
den hohen Zoll bezahlen.

Ersehntes Licht

Am gähnenden Abgrund
des bösen Jahrhunderts
steht frierend und zitternd
die Rechtlosigkeit
und wischt sich die Tränen
aus ihrem Gesicht
und schaut in die Ferne
und weiß nicht, wohin
mit den drückenden Sorgen,
mit der bitteren Not,
die sie schweigend erlitten,
nur um Almosen bittend…
Ob endlich das Licht
der Humanität
durch die drohenden Wolken
der Finsternis bricht?

Unerfüllbarer Traum

Russische Birke,
Birke in Finnland,
Birke im Osten,
Birke im Westen,
über dein edles Gemüt
ist so viel schon geschrieben.

Deine zartweiße Farbe
ist ein Sinnbild der Sanftmut.
Deine grünenden Zweige
sind deutliche Zeichen
des Schönen auf Erden…

O könnte, o könnt‘ ich
in trostlosen Stunden
eine Weißbirke werden!

Mitleidslos

Es wimmert laut die Steppe.
Es saust und braust der Wind.
Ein wahres Hundewetter,
das kreischt und schreit und schimpft.

Und jene armen Hunde,
die keine Hütte haben?
Sie müssen alles dulden,
sie winseln nur und klagen.

Sie finden keine Gnade
und finden keinen Trost –
und reißt der Lebensfaden:
Der Sturm ist mitleidslos.

Unersättlich

Das Gruseln vor der Dunkelheit…
Wir lernten es unter Tränen.
Uns drohte oft
             die Unmenschlichkeit
mit ihren fletschenden Zähnen.

Auch heute sitzt
               uns noch die Angst
so manches Mal in den Knochen.
Denn unersättlich ist der Wanst
der Willkür in allen Epochen.

Innerer Frieden

Zu viel Schwarz sei aufgelegt
in meinen Stimmungsbildern?
So war und ist mein Lebensweg.
So muss ich ihn auch schildern.

Und wo das Helle dominiert,
dort geht es um die Liebe
zum Leben auf der Erde hier –
in Eintracht und in Frieden.

Unstillbares Sehnen

Ja, ja: Vom Januar
bis zum Dezember,
von Jahr zu Jahr,
von Anbeginn
bis hin zum Ende
wandern die Träume –
bald rosafarben,
bald grau-schwarz-weiß,
bald sonnig und wonnig,
bald diesig und trüb –
durch Raum und Zeit
des irdischen Reichs,
das uns so lieb
trotz mancher schrillen
Widerwärtigkeit…

Hier ist ein Bäumchen,
ein schlankes, ergrünt.
Dort ist ein Blümchen,
ein zartes, erblüht.

im Gebirgsfluss,
nicht weit von der Quelle,
schnellen Forellen
flink und grazil
aus dem Wasser
zum Frühlicht empor.

Schwalben und Lerchen
und Drosseln und Finken
zwitschern und pfeifen
und schmettern und trillern
und singen begeistert
im Vogelscharchor.

Und Tauperlen hängen
an Blättern und Stängeln
und blinken und glitzern
und strahlen und blitzen –
der Sonne froh dankend –
wie Schmuckdiamanten…

O, wenn es das Trübe
und Böse nicht gäbe
im Traum und im Leben –
die Welt wäre offen
für Güte und Liebe!..

Und doch – wie gewöhnlich:
Wir träumen und hoffen.
Trotz Kummer und Tränen…
O ewiges Sehnen!..

26. November 1990

Sonette

Kalenderblätter

Ich schicke dir Sonette.
Sie trösten dich vielleicht.
Es sind Kalenderblätter,
die meine Ehrfurcht schreibt…

Ja, rote Rosen blühten
im Reich der Zweisamkeit.
Und die Begierde glühte
vor Freudetrunkenheit…

Sind jetzt die grünen Zweige
der Sehnsüchte verdorrt?
So breche ich ihr Schweigen
mit einem Zauberwort:

Und jede Zeile singt.
Damit ihr Weh verklingt.

Dank

Mein Herz hat sie geschrieben:
Vergissmeinnicht-Gedichte.
Du hast sie streng gerichtet:
Sie sind dir fremd geblieben…

Jetzt sammelst du die Zeilen
und spießt sie stumm auf Platten
und trocknest sie im Schatten
aus lauter Langeweile…

Auch das ist schon ein Dank:
So bleiben sie erhalten.
Trotz ihrer Kreuzigung…

Dann nehm ich deine Hand.
In meine. Und es waltet
Versöhnung wiederum.

Glaube

Ein helles Moment:
Sie blieben zusammen,
obwohl die Verdammung
brutal sie getrennt…

O innere Pflicht:
Auch heut, da sie alt sind,
die Tage oft kalt sind,
verzagen sie nicht:

Sie glauben der Stimme
der nahen Erlösung,
die ihnen erscheint. –

Es gibt jenen Himmel,
der bald ihre Seelen
für immer vereint.

Verkannt

Die Jahre warten nicht.
Sie haben Flügel.
So manches Traumgesicht
muss unterliegen.

Vernimm den Augenblick,
solang sie offen –
die Tür zum Liebesglück:
Sie wird geschlossen.

Wenn sie verriegelt ist
danach von innen,
so bist du übel dran.

Dann hilft dir keine List.
Und kein Gewimmer:
Es bleibt dein Traum verkannt.

Veilchen

Sind die Sinne müde?
Ist ihr Weg verschneit?
Wollen sie sich wieder
fügen ohne Streit?

Ohne Aufbegehren?
Ohne Seelenkampf?
Ohne zu erklären,
wer sie niederstampft?..

Ach, die stille Liebe
ist ein zartes Veilchen,
das vor Gram verblüht:

Leidet, heimlich fiebernd
nach dem Gnadenzeichen,
das im All verglüht.

Gestirne

Der Mond und die Sterne
sind deine Begleiter.
Sie stimmen dich heiter.
Trotz endloser Ferne.

Du deutest ihr Funkeln
als Wärme und Güte,
die heut dich behüten
vor Unlust und Dunkel…

Und wenn die Gestirne,
die schimmern und schillern
am nächtlichen Himmel,
dich später verwirren,

fühlst du ihre Kälte,
die dich überwältigt.

Ohne Wärme?

Die orphischen Töne
verhallen allmählich.
Nun muss sich die Seele
an Stille gewöhnen.

An Stille, die bohrend
die Sinne durchflutet
und fragend vermutet:
Ist alles verloren?

Erdachte Gefühle?
Was kosten die Worte,
mit Feuer gesprochen?
Verwelken? Im Frühling?

Sich ewig nun härmen?
Allein? Ohne Wärme?

Zügelung?

Das Schicksal weiß so manches Mal
              sich nicht zu helfen.
Es stöhnt und weint verwirrt.
Und einen Ausweg…
     Ach, den findet es nur selten,
vom rechten abgeirrt…

Die bösen Stürme fragen nicht
              nach deiner Stimmung.
Sie toben teufelswild.
Die Güte ist bemüht,
        die Schmerzen zu bezwingen:
Sie schont dich sanft und mild…

Und wenn die Stürme
       sich allmählich wieder legen
und die Entbehrungen der Seele
                  wieder schwinden,
bist du erstaunt, warum

dich ohne jeden Grund
           so oft umgeht der Segen,
wo andere so leicht
       bei Sturmwind Obdach finden.
Verdiente Zügelung?

Einsamkeit

Orpheus, greife in die Saiten,
dass dein hohes Lied erschallt,
dass in allen, allen Breiten
deine Stimme widerhallt.

Ach, so viele Frauen leiden
unterm Frost der Einsamkeit:
Wo die Laster vorentscheiden,
fehlt die Wohlgewogenheit.

Schenke ihnen deine Lieder –
Lieder der Barmherzigkeit:
Und so manche finden wieder
ihren Weg trotz Gram und Leid.

Rette die verschmähten Seelen,
die sich durch das Leben quälen!

Lebensquell

Sehnsucht, Schwester der Gefühle,
die wir Liebe nennen…
Oh, sie kann die Wunden kühlen,
die im Herzen brennen.

Dort, wo ihre Blumen knospen,
triumphiert die Freude.
Und es grünt die stolze Hoffnung
auf der Flur der Träume…

Mensch, errichte Monumente,
die die Liebe preisen
auf dem Erdenrund:

Ohne ihre Sakramente –
Oh, Natur, du weise! –
deine Welt verstummt.

                        Den 30. Januar 1991

Stanzen

Statt freie Rhythmen schreibe ich dir Stanzen,
die heute längst schon aus der Mode sind.
Denn alte Sorgen machen mir Gedanken,
was auch die Form der Aussage bestimmt…
Wenn ein Paar Reime aus der Reihe tanzen,
so ist wohl der Verlust nicht gar zu schlimm.
Die Stanzen sind, o Liebste, nur ein Zeichen,
um meinen Jugendtraum zu unterstreichen.

Trennung

Wir waren beide jung und unerfahren.
Das Reich der Träume war unendlich groß…
Ich wollte mein Gefühl dir offenbaren,
doch deine Augen schwiegen hoffnungslos…
Dann kamen jene unmenschlichen Jahre…
Wer findet in der Trennung seinen Trost?!.
Jedoch die Jahre… Ach, die Jahre eilen.
Ob sie die Wunden jener Trennung heilen?

Schweigen

Du fragtest nicht danach, was mich bedrückte.
Du fühltest nicht, wie meine Seele litt.
Dein hoher Gang, der mich so oft entzückte,
verhalte wie ein leiser Tangoschritt…
Wenn deinen Mund ein feines Lächeln schmückte,
so nahm es meinen Liebeskummer mit…
Und wenn nach Jahren ich darüber schreibe,
so heißt’s, dass du gebrochen hast dein Schweigen.

Schicksal

Es war der letzte Tag. Sie mussten scheiden.
Und was für Träume hatten sie gehegt!
Der schwere Abschied war nicht zu vermeiden.
Vom Schicksal war er ihnen auferlegt.
Sie ahnten nicht, was alles sie erleiden
noch mussten auf dem dornenreichen Weg:
Die Liebe strebt danach, ihr Glück zu schmieden,
doch weit nicht immer ist es ihr beschieden.

Gedächtnis

Erinnerst dich daran, was längs vergangen?
Ach nein, mein Herz, ich tadele dich nicht.
Du bist so oft in einem Rausch befangen,
wenn schon dein Märchenreich zusammenbricht,
und übersiehst die grelle Feuerflamme,
die gierig an der müden Seele frisst…
Sind auch nicht alle Fäden zu entwirren,
doch das Gedächtnis lässt sich nicht beirren.

Wehmut

Wenn warme Farben im Gedächtnis glühen
und an die Tür der Glaube leise klopft
und bunt die Fluren der Verheißung blühen,
bedeutet es, dass deine Seele hofft,
dass die Vermutungen vorüberziehen,
die deinen Himmel trübten viel zu oft…
Und frische Winde werden wieder wehen,
und deine stille Wehmut wird vergehen.

Schlechter Rat

Ich soll der Teilnahmslosigkeit vergeben,
auch wenn sie an den Rand mich morgen bringt?
Es sei auch ohnehin zu schwer zu leben?
Und Mitgefühl und Mitleid seien blind?
Es siege nur das Anpassungsvermögen?
Das sei der Weg, der jeden Trotz bezwingt?..
Ich kann mich diesem Laster nicht verschreiben.
Drum soll mir dieser Rat gestohlen bleiben.

Gnade

Es ist nicht leicht, die Wehmut zu verhüllen.
Dein Augenpaar verrät den Liebeskummer…
Es hofft dein Herz: Warum dein Durst nicht stillen?
Und findet in der Öde einen Brunnen,
der hier gebaut der Glaube deinetwillen,
damit die Schmerzen nach und nach verstummen…
So trinke, trink und danke jener Gnade,
die dich zu diesem Freudenfest geladen.

Entheiligung

Die Tränen des Gezweiges sind so bitter,
wenn über Nacht die Bäume sich entlauben…
Es kam ganz unverhofft das Ungewitter,
um dich der Seelenruhe zu berauben:
Die Stürme der Entheiligung erschüttern
sogar den tiefen, inbrünstigen Glauben…
Und dennoch, Seele, sollst du wieder hoffen,
auch wenn das Missgeschick dich tief getroffen.

Letzte Runde

In meiner Seele wallen graue Nebel,
die vor Besorgnis dort erneut sich ballen…
Doch will ich meiner Leidenschaft vergeben,
wenn meine Stanzen, Liebste, dir gefallen…
Es hatte seinen Sinn – das Erdenleben,
muss auch sein Klang dereinst im All verhallen…
Verzage nicht, mein Herz, wenn deine Stunden
auch schon begonnen – ihre letzte Runde.

9. Februar 1991

Enttäuschte Stanzen

Humanitäre Hilfe

Verflixte Wünsche, die sich nie erfüllten:
Mit Pusteblumen waren sie besternt…
Wie ist der Sumpf des Elends zu entschilfen,
wo nie das Wirtschaften wir recht gelernt?..
Gekommen ist humanitäre Hilfe.
Aus Deutschland, das so weit von uns entfernt…
Und hilft uns diese Hilfe – uns Verrannten,
die wir so lang die Menschlichkeit verdammten?

Publizität

Wir mußten sie jahrzehntelang vermissen –
die eingekerkerte Publizität.
Dann wurde sie der Dunkelheit entrissen.
Wir fragten nun verwirrt: Warum so spät?..
Und quälen uns denn jetzt Gewissensbisse?
Na, wie im Leben es so manchmal geht:
Obwohl sie sich bis heut bewegt an Krücken,
ist man bemüht, sie wieder zu verschicken.

Roter Wein

Gepredigt wurde Wein, getrunken – Wasser:
Die lichte Zukunft, schien so nah zu sein…
Der Traum begann allmählich zu verblassen.
Und es verschwand die letzte Flasche Wein.
Jetzt sitzen wir im breiigen Schlamassel
verblüfft und wissen weder aus noch ein…
Wird uns die Ideologie nun füttern,
die uns mit ihrem roten Wein umflirrte?

Traurige Geschichten

Das Volk? Das Volk… Es wird so oft mißhandelt.
Das Wörtchen Volk – es wird so oft mißbraucht.
In seinem Namen quält man es zuschanden
und liefert es brutal der Willkür aus.
Und wer es in Kanonenfutter schlau verwandelt,
der ist von seinem Pyrrhussieg berauscht…
Es gibt so viele traurige Geschichten,
die von Gewalt und Genozid berichten.

Die Grünen

Es gibt so viele junge grüne Pflanzen.
Sie streben ach so gern zum Licht empor.
Doch gibt es Gifte, die das Grün zertpampeln
und frech verwandeln dann in Sumpf und Moor…
Doch gibt es auch in solchen Fällen Chancen:
Die Zügigkeit des Guten herrscht noch vor.
Wenn tüchtig sich ins Zeug die Grünen legen,
kann froh das junge Grün zum Lichte streben.

Schwarzer Markt?

Die Umgestaltungsgärten sollten blühen.
Die Viehzucht sollte auch ihr Bestes tun…
Und wo ist eure Butter, braune Kühe?
Und wo sind deine Eier, buntes Huhn?
Ihr wolltet euch doch alle sehr bemühen
und nicht nur gackern ohne Grund und muh’n?..
Wird alles auf den schwarzen Markt verschoben?..
Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben!

Geldmission

Man druckte Tag und Nacht die schönen Scheine
(Die Schliche nennt man Geldmission!).
Die tiefe Armut sollten sie verneinen
(O großartige Zukunftsvision!)…
Die Hundertrubelscheine mußten weinen,
die Fünfzigrubelnoten auch – zum Hohn!..
Ob auch die Maffia dadurch gelitten,
bleibt, liebe Leute, lange noch umstritten.

Planwirtschaft

Wir stehen täglich an, wir stehen Schlange.
Doch gibt es in der Bude nichts zu kaufen.
Die Zeit der Rosabrillen ist vergangen.
Man möchte förmlich sich die Haare raufen!
Was kann ein armer Schlucker noch verlangen?
Auch keinen Wodka, um sich zu besaufen…
Warum, warum?.. So fragen wir erschüttert.
Hat nicht die Planwirtschaft das Land zerrüttet?

Schwierige Entscheidung

Nicht murren und nicht stöhnen? Wieder schweigen?
Wir Rußlanddeutschen stehen vor der Wahl:
Hinüber? Oder Demut stumm bezeigen,
um wieder zu ertragen Schmerz und Qual?
Die Qual der Heimatlosen und der Geisel.
Und wieder ohne jeden Hoffnungsstrahl…
Auch der Kongreß kann leider nichts entscheiden,
wenn wir entrechtet und vertrieben bleiben.

Bedrängnis

Enttäuschte Stanzen, die die Seele plagen.
Sie suchen einen Hort, um Ruh zu finden…
Was helfen, stille Heimweh, deine Klagen?
Und kann die Rohheit deinen Gram empfinden?
Wo die Gerechtigkeit ans Kreuz geschlagen,
ist jegliches Verständnis längst erblindet.
Und wer erhört die Stimme meiner Stanzen?
Wer bricht für die Bedrängten eine Lanze?

 13. Februar 1991