Licht und Finsternis

Verschneite Pfade

Ein Einschreibebrief.
(Sein Weg ist weit!)
Und eingepackt
in Zwischenzeilen,
liegen darin
meine Schmerzen.
Denn die Pfade
zu deinem Herzen
sind schon so lange
tief verschneit…
Ob meine Botschaft
dich endlich erreicht?

Nostalgie

Wo wandelt die Gnade?
Sie schweigt und schweigt.
Erhört sie denn nicht
mein stilles Gebet?
Und warum, ja warum?
Ist sie taub? Oder stumm?
Oder kommt meine Bitte
ein Jahrhundert zu spät?
Ober ist’s noch zu früh,
die Seele zu trösten?
Nostalgie. Nostalgie!..
Wann ist sie am größten?
In diesem Jahrhundert?
Oder später? Im nächsten?

Hochgefühl

Kein einzig Wort,
das aus dem Reich
der ersten Liebe kommt,
kann leer sein oder kalt.
Auch wenn die Glut
in deinem Blut
schon längst erloschen ist,
so fühlst du dann und wann
noch einen Widerhall,
der dich ergreift
und stundenlang
dir keine Ruhe lässt:
Ein Hochgefühl!
Ein Freudenfest!

Hoher Zoll

Gestern Sonnenschein.
Mit Hoffnungsstrahlen.
Und heute Regen.
Mit Herzensqualen.
Und morgen? Finsternis
in deiner Seele?..
Wenn trüb und ungewiss
die Zukunft ist,
muss die Bekümmernis
den hohen Zoll bezahlen.

Ersehntes Licht

Am gähnenden Abgrund
des bösen Jahrhunderts
steht frierend und zitternd
die Rechtlosigkeit
und wischt sich die Tränen
aus ihrem Gesicht
und schaut in die Ferne
und weiß nicht, wohin
mit den drückenden Sorgen,
mit der bitteren Not,
die sie schweigend erlitten,
nur um Almosen bittend…
Ob endlich das Licht
der Humanität
durch die drohenden Wolken
der Finsternis bricht?

Unerfüllbarer Traum

Russische Birke,
Birke in Finnland,
Birke im Osten,
Birke im Westen,
über dein edles Gemüt
ist so viel schon geschrieben.

Deine zartweiße Farbe
ist ein Sinnbild der Sanftmut.
Deine grünenden Zweige
sind deutliche Zeichen
des Schönen auf Erden…

O könnte, o könnt‘ ich
in trostlosen Stunden
eine Weißbirke werden!

Mitleidslos

Es wimmert laut die Steppe.
Es saust und braust der Wind.
Ein wahres Hundewetter,
das kreischt und schreit und schimpft.

Und jene armen Hunde,
die keine Hütte haben?
Sie müssen alles dulden,
sie winseln nur und klagen.

Sie finden keine Gnade
und finden keinen Trost –
und reißt der Lebensfaden:
Der Sturm ist mitleidslos.

Unersättlich

Das Gruseln vor der Dunkelheit…
Wir lernten es unter Tränen.
Uns drohte oft
             die Unmenschlichkeit
mit ihren fletschenden Zähnen.

Auch heute sitzt
               uns noch die Angst
so manches Mal in den Knochen.
Denn unersättlich ist der Wanst
der Willkür in allen Epochen.

Innerer Frieden

Zu viel Schwarz sei aufgelegt
in meinen Stimmungsbildern?
So war und ist mein Lebensweg.
So muss ich ihn auch schildern.

Und wo das Helle dominiert,
dort geht es um die Liebe
zum Leben auf der Erde hier –
in Eintracht und in Frieden.

Unstillbares Sehnen

Ja, ja: Vom Januar
bis zum Dezember,
von Jahr zu Jahr,
von Anbeginn
bis hin zum Ende
wandern die Träume –
bald rosafarben,
bald grau-schwarz-weiß,
bald sonnig und wonnig,
bald diesig und trüb –
durch Raum und Zeit
des irdischen Reichs,
das uns so lieb
trotz mancher schrillen
Widerwärtigkeit…

Hier ist ein Bäumchen,
ein schlankes, ergrünt.
Dort ist ein Blümchen,
ein zartes, erblüht.

im Gebirgsfluss,
nicht weit von der Quelle,
schnellen Forellen
flink und grazil
aus dem Wasser
zum Frühlicht empor.

Schwalben und Lerchen
und Drosseln und Finken
zwitschern und pfeifen
und schmettern und trillern
und singen begeistert
im Vogelscharchor.

Und Tauperlen hängen
an Blättern und Stängeln
und blinken und glitzern
und strahlen und blitzen –
der Sonne froh dankend –
wie Schmuckdiamanten…

O, wenn es das Trübe
und Böse nicht gäbe
im Traum und im Leben –
die Welt wäre offen
für Güte und Liebe!..

Und doch – wie gewöhnlich:
Wir träumen und hoffen.
Trotz Kummer und Tränen…
O ewiges Sehnen!..

26. November 1990