„Denn Freud und Leid hab ich geteilt mit MEINER Zeit“
Geburt und Tod:
Der Anfang und das Ende.
Dazwischen liegt
die Strecke
MENSCHENLEBEN.
Der Pfad ist schmal.
Und steinig das Gelände.
Und kurz die Zeit,
die einmal nur gegeben.
Wie war diese Strecke für meinen Vater, wie war sie für alle Deutschen in Russland? Das bittere Los seines Volkes blieb auch meinem Vater, Hermann Arnhold, nicht erspart. Geboren wurde er in Schaffhausen am Wolgaufer im Hungerjahr 1921. Wie seine Familie damals diese Not überstanden hat, kann man sich nur zu wundern. Das war eine tüchtige Bauernfamilie, die gewohnt war, hart zu arbeiten und sparsam zu leben. Das hat sie wahrscheinlich gerettet. Und dabei hatten sie eine „traute Heimat“. Die ihnen half, allen Schwierigkeiten zu widerstehen. Hier stand seine Wiege, hier ging er zur Schule, hier kam zu ihm seine erste Liebe. Hier an der Wolga war seine Heimat, die Heimat, der er beraubt wurde. Die Heimat, wonach sich mein Vater später sein Leben lang sehnte, wohin es ihn zog, wohin er hoffte, doch einmal zurückkehren zu dürfen.
Aber 1941 im September kam die Verbannung nach Sibirien, dann 1942 die Lager der Trudarmee im Ural, die zwangsweise Umsiedlung nach Sibirien. Lange Jahre war es ihm nicht gegönnt, seine Lebenspläne und Hoffnungen zu verwirklichen. Erst mit 40 Jahren – die Hochschulbildung, mit 55 – die Promotion. Kindern und Erwachsenen verhalf er, ihre Muttersprache zu bewahren, er lehrte sie, gütig, menschlich und ehrlich zu sein, entwickelte bei ihnen den Sinn für das Schöne und das System der menschlichen Werte. Und das nicht nur in seiner pädagogischen Tätigkeit, sondern auch als russlanddeutscher Dichter.
Sein Leben war ein aufopferndes Dienen seinem Volke. In den Gedichten meines Vaters widerspiegelt sich sein ganzes Leben, aber auch das Leben der Deutschen in Russland, dessen Sohn er war. Alles, was diesem Volk zugestoßen war, musste auch mein Vater durchmachen. Keine einzige Familie blieb vor Verfolgungen, Diskriminierungen, Entrechtungen verschont. Wie Sand wurden einst die 2 Millionen Deutschen zerstreut, damit sie sich als nationale Einheit auflösen, ihre nationale Identität einbüßen. Aber davor hatten die Deutschen gerader Angst, Angst, die tausendjährige Kultur und die deutsche Sprache zu verlieren. Sie wollten doch als Deutsche weiter leben und als Deutsche ihre Kinder erziehen. In seinem Poem „Wir sind nicht Staub im Wind“ schrieb mein Vater:
So bin ich nun einmal – ein Deutscher
Und muss es (und will es!) auch bleiben!
Tief bewegte ihn die Ungerechtigkeit, die den Russlanddeutschen gegenüber ausgeübt wurde. Deshalb klingen in seinen Gedichten so oft Zorn und Trostlosigkeit, Verzweiflung und Schmerz. Aber auch die Hoffnung, trotz allem. Der kommende Morgen soll doch endlich allen Menschen mehr Glück und Freude bringen, denn „der Mensch ist bestimmt glücklich auf Erde zu leben“. Und mit dieser Hoffnung „bis zum Ende“ lebte auch mein Vater, Hermann Arnhold.
Eine Vielfältigkeit der Themen ist im Schaffen meines Vaters zu finden: Liebe und Freundschaft; der Glaube an das Gute und das Schöne; der Sieg des Guten über das Böse; der Glaube an ein menschenwürdiges Morgen; das Verhalten zu Natur und Zeit; das Pflichtgefühl vor den kommenden Generationen; der tragische Schicksalsweg der Wolgadeutschen; die Liebe zur Heimat und die Trauer um die verlorene Heimat.
Wilma Arnhold
