Hänschen und Lischen

     Märchen

          1.
Sieben-Tage-Regenwetter
hieß das kleine Königreich.
Und der König war ein Vetter
selbst vom allerhöchsten
                   Schleich.
Sieben-Tage Regenwetter
auch der König selber hieß.
Und er war ein eitler Spötter,
dünkelhaft und dumm und mies.
„Alles kann ich mir erlauben!
Hart und starr ist ja mein Sinn.
Und ich mache alle glauben,
dass der liebe Gott ich bin!
Und solange ich regiere,
soll es regnen jeden Tag,
dass die Leutchen es
                    verspüren –
alles kommt, wie ich es mag!..“
Oh, die schwarzen
                Wetterwolken!..
Er benutzte sie als Zucht:
Ewig drohte er dem Volke
frech mit schwerem
                  Wolkenbruch.
„Ich versorge euch mit
                       Wasser:
Kocht euch Wasser dick und
                        johlt!
Fasten werde ich euch lassen,
bis ihr euch den Rest geholt!..“
Und so haben denn die
                      Wolken –
in der ganzen Welt beliebt –
hier als Unheil nur gegolten
und das ganze Land betrübt…

           2.
Und noch eine böse Sieben
war die Königin dazu.
Stets von Zanksucht
                  angetrieben,
ließ sie niemanden in Ruh.
Auch ihr Stiefkind sie nicht
                        mochte
(sieben Jahre war es alt),
mit dem Nudelholz sie’s pochte
wie den allerletzten Schalk.
Ließ dann eine Hexe kommen
und befahl ihr: „Ich
                    verlang’s,
mach aus Liese, dieser Frommen,
eine wilde Ringelgans!
Wenn sie sich nach sieben
                        Jahren
noch zu widersprechen traut,
gebe ich sie ohne Zagen
gern dem Waldgeist ab als
                     Braut!..“
Und so wackelte die Kleine,
ganz verstoßen und allein,
bittre Gänsetränen weinend,
in den dunklen Wald hinein.
Aber ihre Siebensachen –
sieben Steinchen, bunt und
                      schön, –
sie verschluckte… Was nun
                       machen?
Soll ich dort zugrunde gehn?
Und es regnete und schneite,
und im Walde war es kalt…
‚Käm ein Prinz, der mich
                      befreite
von des Zauberspruchs
                    Gewalt!..‘

          3.
In demselben trüben Lande
lebte auch der kleine Hans.
Wie für alle Anverwandten
war sein Los die Daseinsangst.
In dem tristen Königreiche
war die Armut rings zu Haus.
Nichts zu brechen und zu
                       beißen,
zog man in die Welt hinaus.
Um ein Stückchen schwarzes
                         Brot,
musste sich der Hans erkühnen,
denn es trieb ihn fort die
                          Not.
Sieben Tag‘ und sieben Nächte
wandelte er durch das Land.
Ringsum war das Volk
                   verknechtet
und zu Hungersnot verdammt.
Und so kam er bis zum König –
auf der Suche nach dem Brot.
Und er graulte sich nicht
                       wenig –
ein Erlass dem Volk verbot,
sich in seinem Schloss zu
                       zeigen,
ohne dass er es gewollt.
Hänschen aber war nicht
                       feige –
stammte er doch aus dem Volk!..
Frohgestimmt war der Gebieter:
„Bist ein Glückspilz,
                    sackerlot!
Darfst bei mir die Gänse hüten
für ein Stückchen Kleienbrot!
Geht die eine Gans verloren…
h„… dann bist du übel dran…
In der Pfanne wirst du
                   schmoren…
h„… na, für den zweiten
                      Gang!..“

          4.
Und fast ganze sieben Jahre
war das Hänschen Gänsehirt
und vermochte zu bewahren
jedes Gänschen für den Wirt.
Zogen Wolken sich zusammen,
drohte schon der Griff des
                      Strangs,
schirmte ihn vor dem Tyrannen
eine wilde Ringelgans.
Schnell kam sie zu Hans
                      geflogen
mit dem nöt’gen Gänsezug,
schnatterte ihm zu gewogen,
was da hieß: „Für heut genug?“
Sieben bunte Federn
                    schmückten
schlicht das schwarze Kleid
                     der Gans.
Hans berückte und bedrückte
jedesmal der goldne Glanz…
Eines Tages lässt sich nieder
seine Freundin tief betrübt.
Und er streichelt ihr
                    Gefieder –

und ein Wunder da geschieht:
Alle sieben bunten Federn
hält der Hans in seiner Hand,
und ein wunderschönes Mädchen
ist die wilde Ringelgans.
Und mit Tränen in den Augen
und vor Kummer sterbensmatt,
klagt ihm Lischen nun den
                       Zauber,
der sie jäh verwandelt hat…

            5.
„…Oh, zerreiß die
                 Zauberketten,
wenn dein Herz mein Leid
                     versteht!
Heute kannst du uns noch
                       retten,
morgen ist es schon zu spät.
Nimm die sieben bunten Federn
und die sieben Steinchen hier,
schmied sie um zu sieben
                       Säbeln,
‚Freiheit!‘ schreib auf dein
                    Panier…“
Siebentausend blanke Säbel,
Sensen, Gabeln – was sich
                        fand –
stritten mutig für ein Leben
ohne Joch und Zauberbann…
Sieben-Tage-Regenwetter
floh aus seinem Königreich,
und es halfen ihm kein Vetter
und kein Zauber und kein
                      Scheich.
Und die Königin, die böse,
wies man aus dem Lande aus:
Krumm wie ein verfluchtes
                        Wesen,
machte sie sich aus dem
                      Staub…

         * * *
Sieben Tag‘ und sieben Nächte
dauert schon die Hochzeit an…
Jeder gern begrüßen möchte
herzlich Braut und Bräutigam.
Hans und seiner Auserwählten
wird Bewunderung gezollt:
Glücklich sind die
                Neuvermählten,
glücklich ist das ganze Volk…
Nieder geht ein warmer Regen,
hell danach der Sonne Schein.
Freude, Frieden, Glück und Segen
ziehn in jedes Haus nun ein.

1984