Das sanfte Ruhekissen

Ein vielverzweigter Baum
im weiten Raum
     der menschlichen Vernunft
und der Moral
             ist das Gewissen.
Es grünt der Baum und strebt,
               solang er lebt,
empor zum hellen Licht
der Wahrheit
           und der Lauterkeit.

Und seine Wurzeln schöpfen –
zu jeder Zeit
    und ohne sich zu schonen –
die Lebenssäfte
aus der humanen Humusschicht
der Traditionen
          und der Vätersitten.

Jedoch so manches Mal
      vertrocknet und vergilbt
das Chlorophyll
            der inn’ren Stimme
des vielverzweigten Baumes
                 vor dem sogar
die Rücksichtslosigkeit
sich dann und wann verneigt.

Dann kommen angeschlichen
           die Gewissensbisse.
Und selbst das Schlimme
          wird noch schlimmer.
Und unverwandt
und nicht mehr sanft
          und nicht mehr weich
ist dann im Florenreich
der Gegensätze
          und der Widersprüche
das sanfte Ruhekissen,
das ihm, dem Baum,
            vermacht für immer
die schönen Bräuche
          und die guten Sitten
und die Gebote der Moral…

Noch gut, wenn er vermag –
      der heimgesuchte Baum -,
sich selber aus dem Schlaf,
        aus seinem bösen Traum
zum Wolle aller
         wieder wachzurütteln.

1988

Lied von meiner Rose

Himmelwärts
           streben im Frühling
Erwartung
         und Blumen
                   und Lieder.
Ewiger Trieb der Natur.
Stimmen der Unsterblichkeit.
Knospen der Hoffnung
entfalten sich klingend
        im Garten des Fleißes.
Liebevoll blickt
           meine Rose mich an.
Sonne bewegt ihr Gemüt!
Einziger Traum
meiner blühenden Rose –
         Verschönern der Erde,
friedliches Blühen der Welt,
labende Lenzharmonie;
Farben in strahlende Klänge
verwandeln
    und froh sie verschenken –
Wunder der Mutter Natur,
heilende Traumsinfonie.
Aufflammen sollen
            die Töne im Glanze
der himmlischen Bläue,
mildern das Ach und das Weh –
derer, die unglücklich sind…
Goldfarben glühen
          im Purpur des Abends
Erfüllung und Wonne.
Kühle bringt wieder die Nacht.
Wahrheit verheißt
                ihr der Traum.
Uralte Sagen,
    die Wärme und Güte
           und Liebe besingen:
Stimmen, bewegt und erregt.
Stimmen, so nah und vertraut.
Zweifel und Glaube.

   Und Suchen und Finden.
         Und Wieder-Verlieren.
Bunt ist die Welt des Gefühls:
Mitleid,
        Versöhnung
                  und Trost…
Kommen die Tage
          der Spätsommersorgen
mit Nebel und Regen,
welkt meine Rose dahin –
  hat nicht vergebens geblüht!

1987

Das müde Herz

Das müde Herz

         Für Friedrich Bolger

Wie oft, wie oft
der brave Mann
in dieser Welt
in tiefe Angst
und Schwermut fällt:
Es ist nicht leicht,
das schwere Kreuz –
der Jahre Last –
in atemloser Hast
huckepack zu tragen…

Und soll sein Herz –
das müde, bange –
in seinem stummen Schmerz
verzagen und versagen?..
Wer oder was vermag,
es wieder zu befrein
aus seiner
       grenzenlosen Not?
Es möchte doch so gern
das helle Morgenrot,
den farbenschönen,
frohen, lichten Tag
der Hoffnungsträume
    noch erleben,

dabei noch sein
        mit ganzer Seele!

Drum rafft es sich
  erneut zusammen –
    es will, es soll,
es muß sich ja ermannen!..
Erschöpft, es stockt,
verirrt,
       es dennoch klopft,
verwirrt,
       es dennoch pocht…
und nimmt sich – stöhnend,
angst- und freudebebend
   und nach Geborgenheit
sich schmerzlich sehnend –
   wieder in die Hände.
Und ringt. Und hofft.
Auf eine Schicksalswende.

1987

Die Größe des Menschen

Es gab keine Zeit, um zu zögern,
es schrillte das Ahnungsvermögen:
Das Haus stand in Flammen,
                       und drinnen
verstummte ein klägliches Wimmern.
Im brennenden Hause sind Kinder!
Er muß seinen Schreck überwinden!
Sie zu bergen, was immer es koste,
empfand er als heilige Pflicht.
Und wahrlich – er zögerte nicht!..

Er rettete selbstlos die Kleinen.
Doch wurde er selber ein Opfer
der Flammen als blutjunger Mann.
Und ein anderes Mutterherz sollte
den einzigen Sohn nun beweinen…
Auch das –
         wird wohl Schicksal genannt…

Die tragische Notwendigkeit,
sich tapfer und opferbereit
in die wütenden Flammen zu stürzen,
um ein anderes knospendes Leben
vor Gewalt und Verderb
                     zu beschützen,
erleuchtet die glanzvollen Gipfel
der menschlichen Würde und Größe.

1988

Ob der Schmerz verstummt?

Und sie wendet schnell
                 den Wagen.
Denn sie weiß,
          was Scheiden heißt.
Ohne noch ein Wort zu sagen,
eilt davon ihr feiner Geist.

Und ich stehe klein am Wege,
kleiner, als ich jemals war…
„Nichts ist ewig“,
              raunt der Regen,
„auch die schlimmste
                Herzensqual.“

Oh, Madonna, meine Sonne!..
Nein, ich faß das Scheiden
                       nicht.
Alles hat es mir genommen,
alles, was mir teuer ist…

Und der Regen klopft
                  ganz leise
an die Scheiben
                der Vernunft.
Doch mein Herz
          will nichts begreifen.
Ob sein Schmerz
            dereinst verstummt?

1988

Ein bißchen Geschichte

Ackerland, Ackerland!
Wer an der Wiege stand,
als man vor Jahren
erschlossen dich hat,
weißt du bestimmt.

Rissig und schwielig
waren (und sind!)
seine fleißigen Hände.
Er pflügt dich, besät dich
er hegt dich,
             er pflegt dich
und erntet dich ab.
Als tüchtiger Landmann
ist heut er bekannt.
Und tapferer Neulandsiedler
wurde er damals genannt.

Und wie stolz diese Wendung
auch heute noch klingt!

                             1987

Sorgen des Sommers

Der Sommer hat ständig
Bedenken und Sorgen
und arbeitet emsig
bis spät in die Nacht.
Er hat das Bestreben
des Frühlings zu formen,
zu Ende zu weben,
was dieser erdacht.

Er weiß aus Erfahrung:
Damit seine Mühen
das Maigrün verwandeln
in prangendes Gelb,
muß er seine Gnade
als Regen versprühen,
mit Hoffnung umranden
das reifende Feld.

Er schreitet dahin
über blühende Fluren,
verhandelt besonnen
mit Wolken und Wind.
Hier fehlt es an Milde,
dort findet er Spuren
der Gleichgültigkeit,
die ihn ernstlich verstimmt.

Ja, Unkraut und Lauheit
sind auch noch zu finden.
Drum muß auch der Sommer
noch Schiedsrichter sein
und wieder verweisen
die Stümper und Sünder,
die manchmal verwüsten
ihr eigenes Heim…

Doch freut er sich ehrlich,
denn allerorts wogen
die Felder mit Ähren,
die reif schon und voll.
Das nennt er nun Güte:
Der hilfreiche Boden
belohnt den Behüter
mit klingendem Gold.

                          1987

Verhext?

Die Quantität und Qualität,
zwei leibliche Geschwister, –
sie kommen da hereingeweht
zum Wohnungsbauminister.
Die Quantität ist grellgeschminkt
und lächelt selbstzufrieden,
Die Qualität, die sichtlich hinkt,
wirkt abgespannt und müde.

Besorgt, jedoch ganz Höflichkeit,
empfängt sie der Minister…
Dann heißt’s, er solle ihren Streit
zum Wohle aller schlichten.
Die Quanti prahlt, daß sie ihr Soll
alljährlich überbiete,
die Quali jammert kummervoll,
es fehle rings die Güte:

„Wenn schlüsselfertig auch das Haus,
kann man darin erfrieren.
Und nach dem kalten Einzugsschmaus
beginnt das Renovieren.
Es steckt der Quanti schon im Blut –
sie schwärmt für große Zahlen…“
„Und Ausschuß nur und Mängel sucht
mein Schwesterlein – die Quali…“

Und der Minister ist perplex:
„Ob denn der Wohnungsbau verhext?

                                    1988

Hunger

Es war eine leidvolle Zeit –
das Hungerjahr dreiunddreißig…
Wir fangen halt … Pfiffer,
was sicherlich nützlich ist.
Auf dem Felde. Zu zweit.
Der taubstumme Simon Eifert,
ein Mann in den besten Jahren,
und ich, ein struppiger Junge, –
die Gesichter verkniffen
und die Kräfte verschlissen.
Die Mittagssonne sticht.
Und wir taumeln vor Hunger…
Und Onkel Simon, der Stumme, –
er schlachtet fünf Tierchen ab,
fünf fette Zieselmäuse
(Ich wußte damals noch nicht,
daß sie so widerlich heißen).
„Onkel Simon, ja aber…“
Ich stockte und deute
mit den Fingern jetzt an,
daß wir keine Zündhölzer haben.
Er lächelt zergrämt und gerührt
und zuckt mit den Lippen
konvulsivisch und artikuliert:
„Wenn mann Hunngerr hatt,
kann mann die Pfiff-ferr
auch unngekochtt ess-senn.“
„Ja, gewiß, Onkel Simon, gewiß.“

                                     1988

Hausbackenes

Auch altes Eisen
     ist immer noch Eisen.
Doch oft muß es liegen  
und gänzlich verrosten.
Nur selten, zu selten
      Wird´s umgeschmolzen
zu rostfreiem Stahl…
Ich möchte beileibe
    damit nichts beweisen.
Nur macht man sich Sorgen:
Wird einstens man auch
zum alten Eisen geworfen,
    beginnt erst die Qual.

          ***
Ein guter Gedanke
wird manchmal
        im Keime erstickt:
„Liebste, tja… siehste,
    ich glaube, ich denke,
wir müßten…
           wir könnten…“
„Männe, ei Männe,
meinst du denn nicht,
     ich wäre verrückt?..“
Leb wohl denn! Ade!..
(Ich meine die gute Idee.)

         ***
Mitternacht. Stille.
Ich schlummre schon ein…
Und plötzlich beginnt es
     zu summen, zu singen,
zu tönen, zu klingen,
     zu pusten, zu husten,
zu rattern, zu knattern…
O Himmel,
was kann das nun sein?..
Am Morgen dann frag ich
den Nachbar,
          was los war,
was denn nicht intakt war.
„Na sehnse, mein Lieber,
der Wasserhahn
          ist halt defekt.
Ich habe schon zehnmal
die Hausverwaltung
          schön angerufen.
Ja, Kuchen!
Man schickt eben keinen…
             Installateur.
So ein Malheur!..“
Alle Achtung,
         ja, allen Respekt
vor dem Chefingenieur!

           ***
Mein Töchterchen,
         lasse das Weinen.
Es findet gewiß
          sich noch einer,
der dir dein Leben erhellt
    oder treulos vergällt.

          ***
Herz, mein Herz,
       hör auf zu grollen.
Trinke deine Schorlemorle.
Alles, alles geht vorbei.
Auch das graue Einerlei.

                               1988