Deine Briefe

Postlagernd schickst du deine Antwortbriefe mir,
und in den Umschlag mithinein versteckst du jedesmal
ein Minitütchen Hoffnung in Geheimschriftzeichen,
einkrustiert in das Geständnis, das du ablegst
unter Tränen. So hole ich denn meine Post alltäglich.
Das Fräulein dort am Schalter lächelt mitleidsvoll,
als ob sie Träume deuten könnte wie Zigeunerinnen
aus den Linien und Windungen der Briefanschrift.
Ich öffne das Kuvert, und Seit‘ um Seite
glaube ich die Körnchen meines Glücks herauszuklauben
und aufzuhäufeln als Festung meiner Sehnsucht.
Wie Sand jedoch die goldnen Körnchen gleiten,
gleich meinem Traum, an ferne Niemandsufer hin.
Und meine Reime da beginnen zu versiegen,
und selbst der Rhythmus droht sich zu verhaspeln,
wenn ich die Briefe, die du mir geschrieben,
im offenen Kamin der bitteren Enttäuschung
bereits wie Opferfeuer knistern hören muß.
Schau hinein da in die wilden Lilaflammen,
die empor schon züngeln an die Festung Liebe:
Dort verbrennt mein Herz glückselig – und zusammen
mit den Briefen, die du nie an mich geschrieben.

20. Oktober 1981