„Bitte, fotografieren Sie mich.
Zum siebzigjährigen Jubiläum.
Aber, na, übersichtlich.
Daß auf dem Foto ich 18 bin.“
Es schaut mich der Meister an
von rechts nach links
und kratzt sich hinterm Ohr,
um besser nachzudenken:
„Tja… Wie Sie sehen…
Wissen Sie was, mein Herr,
schicken Sie mir für den Fall
mal lieber Ihren Enkel.“
Erwacht!
Gerade wie im Märchen:
Ein Queckengräschen
späht aus einem Ritz
und schaut sich um
da voll Verwunderung
und spitzt verschmitzt
die grünen Ohrchen
und hört: „Summ-summ!“
und lächelt fein
und lispelt leise
eine schlichte Weise
vom hellen Sonnenschein.
Der Brunnen
Ja, wer sucht, der findet:
Die Gedanken danken
herzlich den Gefühlen,
jeder leisen Regung
deiner stillen Liebe.
Und umarmt-umschlungen,
graben sie nun in der Wüste
deiner Zweifel einen Brunnen,
um mit seinem edlen Naß
die Setzlinge des Glaubens
an die Gnade zu besprengen…
Und die Wehmut schwindet.
Liebevoll
Das welke Laub
der Herbste deiner Ahnen
düngt besorgt die Fluren
deines jungen Frühlings,
und du rufst entzückt:
Es lenzt! O Glück!
Und die Gefühle
schmücken liebevoll
die Tempel der Erwartung
aus mit bunten Blumen
brennender Begierde
und mit blauen Träumen,
die dein naher Sommer
dann erfüllen soll.
Vom Wein der Zweisamkeit
Oh, wer denkt an den Dezember!
Wenn der Mai die Trommel rührt,
wenn da über dem Gelände
hell die Lerche jubiliert;
wenn die Saaten saftig prangen
und die Wiese üppig grünt,
wenn am Hang die Tulpen flammen
und der Wald den Frühling rühmt;
wenn der Klang der blauen Lüfte
dich wie Festmusik beschwingt,
wenn die Seele Lieder dichtet
und von Drang und Sehnsucht singt.
Nein, noch fern ist da dein Winter
und dein Weg unendlich weit…
Und die Liebe? Soll sie trinken
sacht den Wein der Zweisamkeit!
Gewitterwolken
Ach, und jene Flammen…
Ach, und jene Tränen…
Denn es kam dein Sommer.
Doch statt helle Bläue,
die dein Herz erwartet hatte,
zogen sich Gewitterwolken
dort am Himmel deiner Träume
unheilvoll zusammen…
Und es breiteten sich aus
die schwarzen Schatten
der Gewalt der Lumpenhunde
und der unerhörten Frevel,
die die Menschlichkeit
seit Anbeginn verhöhnen…
Oh! Und unsägliches Leid
verschleierte dein Sehnen.
Bittere Folgen
Wohltat und Menschenwürde
und offenes Mitempfinden
und Mut und Nächstenliebe
wurden verhört und verneint
und auf Scheiterhaufen
verbrannt, und die Asche
wurde frohlockend zerstreut
von der knochigen Hand
der sturen Unmenschlichkeit.
Und das giftige Unkraut
des Zwangs und der Willkür
erstickte im Keim die Saaten
der ewigen sittlichen Werte
in unserem Riesenland…
Flammendes Fanal
Die immer stille Qual
der sklavischen Ergebenheit
irrt zitternd durch die Gassen
ihrer grauen Ausweglosigkeit
und findet kein Erbarmen
und keinen Zufluchtsort
und muß – wie ehedem! –
am Gängelband verharren…
Und dann entschließt sie sich
und steckt entschieden –
wie vergeistigt! – ein Fanal.
Um die satte Aufgeblasenheit
der glatten Niederträchtigkeit
mit ihrem Flammenzeichen
zum allerletztenmal –
befreit vom Joch! – zu warnen.
Schock
Die üppige Phantasie
hat sich im Fluge
die Flügel gebrochen
an der graniten Wand
der stupiden Verbohrtheit
und ist hinabgestürzt
in den schimmligen Schlamm
der leeren Gedanken
der Gleichgültigkeit…
Und wird sich die Kranke
allmählich erholen?
Und wird sie die Schranken
des Schocks überwinden
und zurück zu sich finden?
Erst Impressionen,
so herrlich, so göttlich!
Danach Illusionen,
die Hoffnungen weckten.
Und dann Depressionen,
die lange nicht weichen…
O Gott, was bedeuten
für mich diese Zeichen?..
Und wenn ich verstumme?
Auch das ist ein Segen?
Ein finsterer Tunnel…
und – ewiges Leben?..
20.04.1991
