Angst vor nichts
In deinen Zügen, Zeit,
ist so viel Unverständliches!
So sage, wann erreicht
uns Hungerleider dein Progress,
den du so oft versprichst,
und dann es wieder unterlässt?
Bis uns ereilt das Nichts
mit Herzinfarkt
nach schwerem Stress?
O Geist, bist so verstimmt.
O Herz, bist so betrübt…
Es hat wohl keinen Sinn,
ganz ohne Grund
sich in den Sumpf
der Apathie zu stürzen?
Und wenn es einen gibt?
Und was vermag in diesem
und in jenem Fall
die rege Anteilnahme
am weiten Widerhall
der Umwelt zu beschützen?
Selbstbestimmung
Nicht leicht sind zu entwirren
verwickelte Geschichten…
Wir biestern und wir irren
durch Wüsten und erdichten
uns manches Eldorado
und überspringen Klüften
und finden neue Pfade –
um dann zurückzuflüchten
zum Rand des Unterfangens,
um ängstlich und verschüchtert
das Unheil zu bejammern,
das wir dereinst gestiftet.
Ruin
Sowjetdeutsche Literatur…
Ihr Pegasus stolpert
und strauchelt.
Es hilft ihm wohl kaum eine Kur:
Gebrochen sind längst seine Flügel,
worauf seine Hoffnung er baute.
Im Staub des Ruins muß er liegen:
Kein Mitgefühl und kein Erbarmen,
vom Starrsinn verurteilt –
zum Galgen.
Antipoden
Es ist keine neue Sentenz.
Gut ist der aufrechte Mensch.
Und seine und seiner Freunde
gespeicherte Intelligenz,
zusammengefügt und vereint,
sich zu Gutem verpflichtend
und auf Wohltat gerichtet,
ist wie eine Festung aus Stein,
die nicht leicht ist zu stürmen
von allerhand Einfaltspinseln
und von erbitterten Feinden
der edlen menschlichen Würde,
die allein danach streben,
die lautere Wahrheit zu knebeln.
Späte Lyrik
Keine Nächte sind zu dunkel,
um dein Mitgefühl zu fühlen.
Und ich eile schnell hinunter,
wo die Wogen mich umspülen.
Jene Wogen an den Ufern
deiner Liebe, die dort branden.
Und ich brauche nicht zu suchen.
Und wir finden bald einander.
Oh, du meine späte Lyrik,
willst mich wiederum umschlingen,
um mich in dein Reich zu führen,
wo die Äolsharfen klingen!..
Und die frischen Frühlingswinde
greifen in die Harfensaiten…
Und die Wehmut?..
Oh, sie schwindet,
vom Gesang der Nacht begleitet.
Verzweiflungsschrei
Hinausschreien möcht‘ ich
den Schmerz in die Welt:
Wie lange noch bleiben
wir Deutschen geächtet?!
Ein halbes Jahrhundert
der Macht es gefällt,
uns niederzupeitschen,
zu Staub zu zerreiben!
Zu selten
Die seelischen
und körperlichen Qualen
verschmelzen leicht
und werden unerträglich.
Doch mußt du sie,
solang du lebst, ertragen:
Auch Unmögliches ist
mitunter möglich.
Die Existenz des Menschen
ist ein Nachen,
worin die Hoffnungen
der Seele schwimmen
und auf ein Zeichen
aus dem Weltall warten,
damit es ihren Kurs
zum Ziel bestimme.
Das Schicksal aber
ist zu selten günstig.
Und seine Segel sind
vom Sturm zerschlissen.
Es kentert oft sein Kahn
und muß versinken
im tiefen Ozean
der Widersprüche.
In schweren Tagen
Das System traktierte
uns mit Eisenruten,
denn wir Repressierten
sollten all verbluten…
Doch wir Heimatlosen
hoffen noch und denken,
daß man uns die Heimat
endlich wieder schenke,
die vor fünfzig Jahren
man uns weggenommen,
ohne uns zu fragen…
Ach, ihr schönen Träume!
Ach, Apotheose!
Heißt man uns willkommen
in der alten Heimat?
Grünen dort die Wiesen,
blühen dort nun Rosen,
die uns Hoffnung geben?..
Nein, wir sind im Bilde:
Viel habt ihr erlitten,
heimatliche Gegend,
heimische Gefilde…
Bleiben wir vertrieben
für das ganze Leben?..
Oh, du weißt, wir bitten:
Gib uns deinen Segen,
Heimat an der Wolga,
Heimat meines Volkes!
Frostige Nebel
Leben bis heute wir noch
fern im Jahrhundert der Sklaven?
Sind wir erwählt, um das Joch
der Unterwerfung zu tragen?
Sind es die Folgen der Nacht,
die uns so lange verknechtet?
Ist es die Ohnmacht der Macht,
die uns entnervt und entkräftet?
Oh! Ist der Mensch nicht bestimmt,
glücklich auf Erden zu leben?..
Wenn man die Hoffnung ihm nimmt,
irrt er durch frostige Nebel…
Völkerschaften
Wenn die Gedanken auch zittern,
sind die Gefühle auch bitter,
wollen und müssen wir leben,
Sonne erwartend und Segen,
wenn sich entlädt das Gewitter.
Denn: Wir gehören zusammen
trotz der Gewalt und Verdammung,
die uns so oft drangsalierten
und in das Dunkel uns führten,
dem wir – verkrüppelt! – entgangen.
Und: Die Vernunft soll uns lehren,
Kummer und Schmerzen zu ehren,
die die Bedrängten empfinden,
Wenn sie als Volksstamm verschwinden…
Weil wir zusammengehören!
2. Mai 1991
