Wie ich einmal Pech hatte

Seid nicht beleidigt und verdenkt mir´s nicht: wenn ich den Saal überschaue, so fällt mir kein einziges Mäfchen auf, das es mit meiner Liese aufnehmen könnte. Wie man sagt: jedem Narren gefällt seine Kappe. Doch beginnen wir von vorne.

Zum erstenmal traf ich sie im Kulruthaus während einer Beratung der Bestarbeiter des Rayons. Als die Debatten folgten, erteilte der Vorsitzende auch mir das Wort, indem er meldete: „Genossen, jetzt spricht der bekannte Traktorist der 1. Abteilung des Thälmann-Sowchoses, Genosse Christian Grünschnabel.“ Da fuhrs´s mir durch alle Glieder. Zwei Blamagen auf einmal: erstens wusste ich nicht recht, was ich überhaupt sagen sollte, zweitens hatte der Vorsitzende, der Teufel weiß wieso, mich zu einem Grünschnabel gemacht.

Ich wurde rot bis über die Ohren und zauderte. Man klatschte aber Beifall, und ich schleppte mich zur Tribüne. Irgendwie riß ich mich doch zusammen und wollte grad beginnen. Da kam mir ein Mädel in der ersten Reihe vor die Augen. Sie warf einen schelmmischen Blick in meine Richtung, wandte sich zu ihrer Nachbarin, und ich hörte ganz deutlich: „Schau mal, wie dem Grünschnabel der Kamm so rot geworden ist, der sagt uns sicher kein Wort heute.“ Da verlor ich gänzlich den Kopf, und das einzige, was ich herausstotterte, war: „Sollt ihr… sollt ihr doch wissen, dass ich kein Grünschnabel bin, ich kann euch meinen Geburtschschein zeigen!“ Na da hatte ich mich vollends blammiert. Unter stürmischem Beifall verließ ich die Tribüne.

Weil ich Präsidiumsmitglied war, mußte ich aber am Präsidiumstisch sitzen. Mein ganzer Körper brannte, als ob man mich ausgepeitscht hätte. Am liebsten wäre ich in eine Ritze geschlüpft.

Zu allem Unglück gab man jetzt ihr das Wort. Ich hörte nur, dass sie Liese Schuster hieß und auch Traktoristin war; viel weiter brachte ich´s nicht. Doch durch das Hirn blitzte der Gedanke: ist das ein blitzsauberes Mädel, die könnte einem ja direkt gefallen!

Da wandte sie sich ans Präsidium: „Und zum sozialistischen Wettbewerb während des Herbststurzes fordere ich den Traktoristen der 1. Abteilung, Genossen Grünschnabel, verzeiht, Grün… Grün…“ „Grünschaden“; verbesserte jetzt der Vorsitzende selbst, – „…fordere ich Genossen Grünschaden heraus!“

Ihre Herausforderung mit solch einer Stichelei – das ging mir denn doch über die Hutschnur! Ich begann stark zu husten und verließ unter diesem Vorwand die Bühne, stand ein Weilchen hinter den Kulissen, mir alle Knochen im Leib verfluchend, während man dem Racker Beifall klatschte, dann schlich ich mich ins Foyer und beglupschte dort sinnlos wohl ´ne halbe Stunde lang alle Bilder an den Wänden. Darauf suchte ich im Büffet Rettung. Aber die Verkäuferin sagte nur höflichst, sie habe nichts stärkeres als Rotwein und Champagner, da entfuhr mir ein“Donnerwetternochmal!“, und ich lief auf die Straße.

Wie ich da nun so verlassen steh´und an einer kalten Zigarette sauge, kommt mein Kamerad, der Wilhelm, und strahlt. „Deiwel noch mal, ich such dich schon eine kleine Ewigkeit! Da ist was los, Christian! Bist du aber ein Glücksvogel! Schau mal her! Weißt du, was das ist? – So was, wie ´ne schriftliche Botschaft, sicher doch eine Einladung oder gar eine Liebeserklärung! Meiner Seele! Und weißt du auch, von wem? Von der Traktoristin der 3. Abteilung, die dich ins Schlepptau nehmen will, von Schusters Lieschen! Beneiden könnt´ ich dich: das ist ja ein Engel!“

„Quatsch nicht, Mensch“, fuhr ich ihn an, „und gib mal her!“ Dabei nahm ich ihm das Briefchen aus der Hand und zerriß es in Fetzen. „Da hast du! Diesen Engel, wenn er sich nicht ins Himmelreich ´naufmacht, kannst du dir einfangen!“

Plötzlich stand mir wieder alles ganz klar vor Augen: erst der schelmische Blick aus der ersten Reihe, darauf ihr hübsches Gesicht, ihre schlanke Figur; und daneben ich, mein lächerlich verdrehter Name, mein Stottern, das Erröten – kurz, ein Jammerbild! Vor Herzensleid schrie ich laut auf: „Ein Esel bin ich, Wilhelm! Immer tu ich das Gegenteil von dem, was ich sollte. Sogar den Brief habe ich zerrissen! Was denn jetzt, Wilhelm? Lach du mir, aber ich hab´ mich wirklich verkracht in sie, da ist mir die ganze Welt, auch mein DT-54, nicht mehr lieb, da ist alles hin!“

Der Junge hatte sich noch nicht recht von seiner Verblüffung erholt, da strömen schon aus dem Klub die Leute auf die Straße. Zwei Mädels steuerten direkt auf uns zu. Und wer denkt ich wohl? Sie! Lieschen und ihre Freundin!

„Jungens, geht ihr nicht mit uns ins Kino? Heute läuft ein schöner Film,“ sagte Lieschen bittend und stieß ihre Gefährtin leicht in die Seite. Ich dacht´ für mich: da muß ich antworten, wie könnte man das nur runder sagen. Aber schon trommelte Wilhelm: „Warum denn nicht, warum denn nicht, liebe Mädchen, das ist ja fabelhaft! Nach getaner Arbeit ist gut ruhen. Und stellt euch nur vor: zwei junge Paare gehen ins Kino, schauen ´nen echten Film an, dann … nun, das Dann wird sich ja finden. Also, danke schön für die Einladung und los!“

Als wir hinkamen, war dort Lärm und Gedränge. Irgendein Mädchen rief ihrer Freundin aufgeregt zu: „Alle Karten ausverkauft. Gehen wir vielleicht zum Tanz?“ Da meinte Lieschen spöttisch: „Die haben wohl Trauerlappen als Kavaliere. Schadet nichts: unsere Burschen haben dafür gesorgt.“

Da lief mir´s heiß über den Rücken, und ich fühlte mich ganz ratlos. Wilhelm flüsterte mir ins Ohr: „Das Briefchen! Was aber weiter?“

Lieschens Freundin schaute auf ihre Uhr und bemerkte: „Es ist Zeit, gehen wir hinein!“ „Tja, Mädels“, wollte ich leichthin sagen, aber die Stimme stockte mir, „wenn, dann geht nur allein, wir haben nämlich keine.“

„Habt keine besorgt, was?“ fuhr Lieschen mich an. „Das hätten wir uns ja denken können“ Wir hätten uns halt an erwachsene Burschen wenden sollen. Ein Grünschnabel ist eben ein Grünschnabel“ Adieu, bleibt schön gesund! Danke für die Gefälligkeit!“ Weg waren sie.

Wilhelm fauchte wütend: „Pechvogel! Hätten wir den Zettel gelesen, so wäre alles in Ordnung. Den ganzen Abend hast du einem verhutzt!“ Und damit ließ er mich stehen.

Wenn ich jetzt mein Liesel an jenen Abend erinnere… ach so, ihr wollt wissen, wieso mein Liesel? Liebe Leute, das ist eine lange Geschichte: da müsste ich davon erzählen, wie verteufelt ich mich ins Zeug legte, nicht nur bei der Arbeit, sondern auch an freien Abenden, wie ich meine tollpatschige Befangenheit loswurde, um das Mädel warb und mich durch keine Neckereien einschüchtern ließ. Kurz und gut, ein Jahr war noch nicht rum, da hieß es nicht mehr: Grünschnabel wetteifert mit Schusters Liese, sondern: Grünschadens sind halt doch die Ersten!