*** Sonnen und Monde und Sterne… / А вечно ли звёзды мерцали?

Sonnen und Monde und Sterne…
Schweben und leben sie ewig?..
Sind es die schmelzblauen Fernen,
die keine Ruhe dir geben?..

Stürme im Weltall… Ein Zeichen
endloser reger Bewegung?
Oder nur bittre Enttäuschung
deiner empfindsamen Seele?..

Spuren von Meteoriten
lassen noch oft von sich hören.
Aber der Schwur der Verliebten
hat es auf Erden noch schwerer.

Bald ist die Liebe wie Feuer,
flammt bis hinauf in den Himmel;
bald wird verlegen beteuert,
dass sie schon lange verkümmert…

Mikro- und Makrosysteme
können die Liebe nicht retten:
Morgenschön sind Chrysanthemen,
bis sie der Sturmwind entblättert.

24. Februar 1989

А вечно ли звёзды мерцали? / Sonnen und Monde und Sterne…

А вечно ли звёзды мерцали?
И долгую ль песнь пропоют?
Опять эти синие дали
Покоя тебе не дают…

В пространстве космическом – бури.
А в чём тут причина, – скажи.
То призрак движенья иль горя
Чувствительной нежной души?

И яркие метеориты,
сгорая, на землю летят.
И клятвы бывают забыты,
что грузом на сердце лежат.

Ведь чувство подобно пожару.
Пусть верности дал ты зарок.
Заметишь, хотя и не сразу:
Последний остыл уголёк.

Хоть микро-, хоть макросистема…
Любви не спасти ей ростки.
Чудесно цветёт хризантема,
Но бурей сорвёт лепестки.

Gewitterwolken

   Irenchen spielt im Kinderzimmer. Sie deklamiert gerade ein Gedichtchen, das ihr Oma Linda beigebracht haben mag: Der Wauwau fängt an: („Wau-wau! Wau-wau“!) Die Miezekatze dann: „Miau! Miau!“ Dabei dramatisiert sie die Situation, indem sie bei „Wau-wau“ bemüht ist, die Zähne zu fletschen und bei „Miau“ versucht, den Rücken zu krümmen, was ihr leichter und besser zu gelingen scheint.
   Da kommt Bernhard nach Hause. Helene empfängt ihn mit den Wörtern: „Hörst du, Bernhard, dein Engelchen, dein Irenchen-Schönchen plaudert heute schon den ganzen Tag deutsch. Sie ist in Stimmung.“ Irenchen kommt an Bernhard zugestürmt, der sie auf den Arm nimmt und sie an sich drückt. „Ich in Stimmung! Ich in Stimmung!“ streichelt sie ihm die Wangen. „Ich bin in Stimmung, bin“, verbessert er. Sie läßt sich herunterrutschen, saust im Vorzimmer hin und her und singt: „Bin, bin, bin! Kling, kling, kling!“ – „Und jetzt lässt du deinen Papa erst mal essen, Schätzchen“, will Helene sie beschwichtigen und sie auf ihren Schoß nehmen. Da beginnt im Schlafzimmer das kleine „Bärchen“ (also auch Bernhard!) mit seinem dünnen Stimmchen zu quäcken. „’s Bärchen greint! ’s Bärchen greint!“ – „Weint“, verbessert jetzt ihre Mutter und eilt ins Schlafzimmer. „Aber Oma Linda hat heute gesagt: „’s Bärchen greint“, ruft Irenchen ihr nach. Und plötzlich, als ob sie sich an etwas besonders Wichtiges erinnert hätte, philosophiert sie, mit dem Zeigefinger der Rechten den Takt angebend: „Kleine Kinder – kleine Sorgen, große Kinder – große Sorgen. ’s Bärchen – kleine Sorgen, und ich – große Sorgen, ja, Papa?“ – „Gewiss, gewiss, du bist ja schon groß, aber das mit den Sorgen…“ Irgendwarum spricht Bernhard den begonnen Satz nicht zu Ende. Auch dieses Sprichwort muss sie von Oma Linda gehört haben. Und hinsichtlich der Sprüche könnte Irenchen der Großmutter nachgeraten sein. Könnte…
   Jetzt klettert sie auf Bernhards Schoß und rückt ihm bald den einen, bald den anderen Teller näher: „Ich dein Engelchen, ja, Papa?“ Ich dein Goldchen, ja, Papa? Ich dein Irenchen-Schönchen, ja, Papa?“ sprudeln die Worte nur so heraus. „Jawohl, Irenchen, aber bin.“ – „Jawohl! Bin, bin, bin – kling, kling, kling! Ich habe dich gern, Papa! Ich habe dich so-o gern! Wie Oma und Opa, wie Babuschka und Deduschka! Wie Mama! Ich habe dich so-o, so-o gern! Und dabei streckt sie die Ärmchen weit aus, um auf diese Weise ihre große Liebe zu veranschaulichen. Bernhard räuspert sich, denn ein tiefes beglückendes Gefühl wallt in ihm auf, und er drückt Irenchen an sein Herz, streichelt und liebkost sie… Da kommt Oma Linda mit etwas roten Augen in die Küche, sagt zu Bernhard, er solle auf die Kinder aufpassen, sie müsse mit Helene noch ins Warenhaus eilen, dort sei japanische gemusterte Seide eingetroffen. Irenchen wird aber nicht mitgenommen, wenn sie auch etwas schmollt und die Lippen zum Weinen verzieht…
   Ein Familienidyll von heute? Nein, das wohl nicht. Eine junge Familie, die kaum zwei Jahre besteht (wenn Irenchen auch schon bald fünf Jahre alt wird; aber darüber etwas später). Eine Familie mit all ihren Freuden und Sorgen, mit allem Drum und Dran. Und noch ein bißchen obendrein. Mit ethischen und Alltagsproblemen, die sich von selbst lösen oder auch ihrer Entwirrung lange genug harren müssen. Und leider auch mit Wunden, die zwar allmählich vernarben oder zum Teil schon vernarbt sind, aber dennoch dann und wann zu schmerzen beginnen, wenn am Himmel der Seele Gewitterwolken heraufziehen.
   Junge Leute… Sie dürfen auch einmal über den Strang hauen, denn sie sind eben jung. Sie dürfen sich manchmal auch irren, denn irren ist menschlich. Und die Erfahrung kommt erst mit den Jahren und die Weisheit gewöhnlich zu spät. Auch auf den Holzweg kann man geraten. Und da ist guter Rat teuer. Denn der Holzweg kann ins Dickicht führen oder gar in einen Sumpf. Und im Sumpf kann man steckenbleiben, wenn sich nebenan keine guten Menschen befinden, die einem noch rechtzeitig die Hand reichen…
   Irenchen ist, genau genommen, mehr ein Irinchen, denn dem Geburtsschein nach trägt sie den Namen ihrer Babuschka Irina, Irina Petrowna Michailowa. Und Irinchen war ein Frühchen, ein Siebenmonatskind, was heute zwar nur selten erwähnt wird, und da meistens nur gedanklich. Und die Sorgen um das Frühchen lagen nun mal mehr auf den Schultern von Irina Petrowna als auf denen von Jelena, ihrer Tochter, die das Kind eben zu früh – zu früh nicht nur im biologischen Sinne, sondern in jeder Hinsicht – zur Welt gebracht hatte. Und das mit dem Kummer und den Sorgen ist so eine Sache – wie man’s nimmt.
   Denn die seelischen Qualen, die Helene, wie man sie im Fremdspracheninstitut schon nannte und wie sie jetzt liebevoll bei Millers genannt wird, damals ertragen musste und die sie auch heute noch so manchmal zusammenzucken lassen, waren wohl nicht leichter zu überwinden als all die Unannehmlichkeiten, die Scherereien und Anstrengungen, die aufgeboten werden mussten, um das Frühchen, das Kleinchen, das winzige Krümelchen Leben am Leben zu erhalten und es aufzupäppeln. Aber die Mühen und Sorgen des Alltags halfen auch Helene, das Syndrom der Schuld allmählich zu überwinden und die Konflikte der empfindsamen Seele, die ihre Enttäuschung nicht loswerden konnte, zu entschärfen. Doch wenn sie allein mit ihrem trostlosen Seelenkummer blieb, wo der beklemmende, düstere Gedanke, waltete, alles, alles sei nun passe, dann war es schlimm genug…
   Nicht immer edel klingen die Töne, und nicht immer wird edelmütig gehandelt in Situationen, die irgendwie mit der Studentenherberge „Edelweiß“ verbunden sind, die sich weit droben in den Bergen des Trans-Ili-Alatau, fast eine Stunde höher als das berühmte Bergeisstadion „Medeo“ versteckt hat und wie ein Idyll, wie eine Stätte der Unschuld und der Lauterkeit anmutet, wo alles ringsum Urwüchsigkeit und Unberührtheit zu atmen scheint – das Gestein und Gefels, die Gipfel und Kuppen, die Klüfte und Schluchten, die bis in den Himmel ragenden Edeltannen und die jungfräuliche Stille.
   Und hier, in einem verborgenen Winkel der Mutter Natur, den weder die menschliche Vernunft noch der alles sehende liebe Gott zu überwachen vermochten, hatte sich Helene, liebestrunken, im Vorgefühl des vom blauen Junihimmel herabstrahlenden Glückes am ganzen Leibe zitternd, das ihr die Kehle zusammenschnürte und ihr dürstendes Herz hoch und höher schlagen ließ, dem ritterlichen, schlanken und stattlich gebauten Aspiranten Gerhard Müller in die Arme geworfen. Vergessen war die ganze große Welt! Und sie schwebten – zu zweit! – auf den Flügeln der Seligkeit hinaus in das blaue, uferlose Märchenland Liebe, wo es kein Wenn und kein Aber, keine trüben Wolken und keinerlei Kümmernisse gibt, sondern nur Sonne und Wonne und Freude und Glückseligkeit…
   Nach der großen Sternstunde, die ganze Stunden gedauert haben mag, matt und müde von seelischer und physischer Spannung und Erregung, schlummerte Helene langsam ein. Und es träumte ihr, sie wandle über die grüne Hänge des Kok-Tjube, und überall blühten üppig die Irisblumen, die Schwertlilien mit ihren farbenprächtigen, von isabellengelben und leisblauen bis dunkelvioletten Blüten. Und die blühenden Schwertlilien wurden immer höher und höher, erst kniehoch, dann sogar mannshoch, und auf einmal sah sie und fühlte sie, dass sie selbst eine aufgeblühte Schwertlilie war – mit taubehangenen Blütenkelchen und mit ihren zarten Blütenblättern in jener Richtung winkten, woher sich aus den weißen Lämmerwölkchen ein in blendendes Weiß gekleideter Ritter auf einem weißen Apfelschimmel herunterließ, aus dem silberbeschlagenen Sattel mit silberglänzenden Steigbügeln stieg, ihr (gerade ihr und keiner anderer) entgegeneilte, vor ihr niederkniete, sie anbetete, sie dann sanft und behutsam auf die Arme nahm, sie hin zu dem stampfenden und schnaubenden Ross trug, sich mit ihr in den Sattel schwang und in die blauen Lüfte hinaufstieg, wie auf Flügeln in den lichten und unendlichen Äther dahinschwebte. Aber dann – o Gott! – stießen sie gegen eine Bergkuppe, und sie, die glückselige Schwertlilie, stürzte in eine abgrundtiefe Schlucht hinab…
   Aus diesem merkwürdigen Traum erwacht, zitterte sie noch vor Angst und schöpfte erleichtert Luft, als sie Gerhard ruhig und tief atmend neben sich schlafen sah, Ach, was! Träume sind Schäume!
   Doch Helenes große Sternstunde dauerte nicht lange und glich jenem Flug in jenem Traum. Denn in Gerhard hielten sich die Ritterlichkeit und Frechheit die Waage. Und schon am nächsten Tage auf dem Heimweg redete er mit unverholenem Zynismus Helene ins Gewissen, sie solle das Geschehene nüchtern betrachten und hinnehmen, wie es eben war, sie solle sich nicht an Illusionen klammern, sie solle sich keine Luftschlösser bauen.
   Gewiss, sie sei eine hübsche, eine nette, eine begerenswerte Erscheinung, und er habe nichts dagegen, sich noch öfter mit ihr zu treffen, aber heiraten könne er sie nicht und sie solle, falls sie von einem anderen Glück träume, es sich woanders suchen. Sein Kredo, sein Leitsatz sei die freie Liebe, und überhaupt, er müsse seine Dissertation zu Ende bringen und sie dann selbstverständlich auch verteidigen, und das könne Liebesverhältnisse mit Damen höheren Grades voraussetzen…
   Dann, etwa nach vier Monaten, kam es zu dieser erzwungenen Ehe, zu diesem Flickwerk. War es nun ein Anflug von Liebe, was ja nicht ausgeschlossen war, ober war es eine leise Spur von Reue, was auch möglich sein konnte, oder war es die feige Angst, es könne zu einem Skandal kommen, was seiner Karriere schaden könnte, – wie dem auch sei, Gerhard Müller war in eigener Person zu Helene und ihren Eltern gekommen, die in einem Eigenheim wohnten, das wie ein Schwalbennest an einem Abhang des Kok-Tjube hing, und hatte um Helenes Hand gebeten. Georgi Iwanowitsch war dagegen, Irina Petrowna, zwar vor Haß zitternd, war dafür, und Helene wollte ihrem zukünftigen Kinde den Vater erretten und die zugefügte Erniedrigung und Herabwürdigung vergessen. Und so wurde Helene nun eine „Müllerin“. Und sie „lebten“ jetzt zusammen und wohnten bei Helenes Eltern. Gerhard ließ sich nach der stillen Hochzeit ohne Gäste nur selten sehen, und nach einem Monat war er spurlos verschwunden.
   Auch Helene hatte das Studium aufgegeben. Als ob das in ihrer Lage und in ihrem Seelenzustand noch von Bedeutung wäre, hatte sie der Mutter geantwortet, deren Herz gleichfalls blutete und die, wenn ihre Nerven versagten, ihre Tochter beschuldigte, dass sie ihr Schicksal mit einem Deutschen verbunden hätte, wo ein Russe sie nie so herabgewürdigt hätte. Aber wenn Georgi Iwanowitsch zufällig hörte, dass seine Petrowna solche und ähnliche verzweifelte Ausfälle machte, versuchte er ihr klarzustellen, da es bei allen Völkern noch immer Taugenichtse und Schurken gegeben habe. Der Hund läge woanders begraben. Es sei die Zügellosigkeit, die man heutzutage den jungen Leuten erlaube.
   Und als Irinotschka nun einmal da war, übernahm er ohne zu murren die Pflichten des Großvaters und auch des Vaters, der sich aus dem Staube gemacht hatte und irgendwo seine Dissertation zu Ende schrieb oder auch zu verteidigen gedachte und wahrscheinlich auch die Dame seines Herzens gefunden habe müsste, die unbedingt einen akademischen Grad hatte…
   „Bernhard“, rang Frau Linda verzweifelt die Hände, „mein Sohn, du unser einziger Sohn und unsere einzige Stütze, warum bist denn so niedergeschlagen? Wenn ich dir zugucke, will mir das Herz im Leibe zerreißen. Musste dich denn jetzt aufopfern? Das hättste dir gleich vorstellen können. Die hat doch noch immer die Nase über dich gerümpft, weil du bloß ein einfacher Bauarbeiter wie dein Vater bist. Jetzt musste dich zusammennehmen. Und ein gutes Mädchen wirste schon finden. Karaganda ist groß, und auch anderswo gibt’s bestimmt gute und ehrliche Mädchen.“
   Peter Miller sprach mit seinem Sohn in einem anderen Ton, aber dem Sinne nach war es dasselbe: „Du bist doch ein Mann, Bernhard! Du bist doch ein Miller, Bernhard! Die Wilmers Monika ist es auch gar nicht wert, dass man der nachtrauert. Die hätt‘ dich doch bei der ersten Gelegenheit im Stich gelassen. Ich kenne die Wilmers. Sollen die drüben reich werden, meinetwegen steinreich. Und wir bleiben, wo wir sind. Und ich glaube, Bernhard, dass wir bald wieder an die Wolga zurückziehen, wo unsere wirkliche Heimat ist und wo wir wie früher werden unsere Sprache und Kultur hegen und pflegen können. Und eine Frau für dich und eine Schwiegertochter für uns wirste noch finden.“
   In Monika war Bernhard noch als Schuljunge verliebt. Und sie war ja auch bildschön. Und warum sollte er sich nicht in ein so aufgewecktes, hübsches und blühendes Mädchen verlieben? Gegenliebe? Bernhard schien es, sie empfunden zu haben. Auch heute glaubt er manchmal noch, sie hätte ihn gern gehabt. Doch gesiegt hat in ihr nicht die Liebe, sondern die kühle, raffinierte Berechnung.
   Kurz bevor die Wilmers um das Ausreisevisum zu wirken begannen, kam Monika, die bis dahin immer irgendwelche Gründe gefunden hatte, um Bernhard zu überzeugen, die Heirat müsste noch zurückgeschoben werden, zu Millers ins Haus und erklärte kurz und bündig in Anwesenheit Bernhards selbst und seiner Eltern, sie wäre bereit, so schnell wie möglich zu heiraten, wenn… wenn Bernhard ihr sein Ehrenwort gibt, mit ihnen, den Wilmers, nach Westdeutschland auszuwandern. Später könnten sie auch Bernhards Eltern kommen lassen, was dann eine Kleinigkeit sei, und sie wären dann alle drüben in der freien Welt.
   Kurz danach heiratete Monika Lipphardts Heinrich, der mit den Wilmers auch ausgewandert ist. Denn Bernhard hatte sich eindeutig und kategorisch losgesagt, die Heimat zu verlassen. Und sie zu überreden, ihn zu heiraten und hier zu bleiben, war verlorene Liebesmüh. Und seine Monika hatte ihn im Stich gelassen, was ihn bitter quälte und was er zwar nicht als Landesverrat qualifizierte, aber als Verrat an ihm, ihrem Jugendfreund, empfand…
   Eines Abends kam Frau Linda, die in der Schule nebenan als Raumpflegerin arbeitete, nach Hause und erzählte Bernhard, sie hätten in diesem Schuljahr eine neue Deutschlehrerin bekommen, und es müsste wohl eine Deutsche sein, weil ihr Familienname auch Miller sei. Zwar sprächen die Schüler sie mit „Jelena Georgiewna“ an, aber sie sei wahrscheinlich eine Helene. Und das „Miller“ klinge bei ihr – Frau Linda hatte sich mit ihr schon einige Male unterhalten – zwar wie „Müller“, aber das käme wohl daher, weil sie so schön hochdeutsch spräche.
   Ein anderes Mal begann sie wieder über die Deutschlehrerin zu erzählen. Sie sei ein so sympathisches, bescheidenes Mädchen mit so wunderschönen großen blauen, gutmütigen und sanften Augen. Und aus diesen Augen strahle Mitleid und Güte. Nur sei darin auch eine Art erloschene Glut zu bemerken und so etwas wie Einsamkeit oder namenloses Leid zu lesen.
   Und wieder ein anderes Mal überraschte sie Bernhard, sie hätte bei Helene Georgiewna vorgesprochen. Ihr Sohn, ihr Bernhard, sei ja seinerzeit ein guter Schüler gewesen, aber seine Muttersprache spräche er nur mit Müh und Not, und da in einer wolgadeutschen Mundart, reichlich mit russischen Wörtern und ganzen Ausdrücken gespickt. Und da er nun mal ein Deutscher sei, so müsse er doch auch deutsch sprechen können. Kurz und gut, Helene Georgiewna hätte nach einigen Zögern gesagt, es würde ihr nicht schwerfallen, ihrem Sohn dann und wann behilflich zu sein, vorausgesetzt, dass er wirklich seine Muttersprache erlernen und ein fleißiger „Schüler“ sein wolle…
   Einen durchaus glaubhaften Vorwand hatte sich Frau Linda da ausgeklügelt, und dabei konnte schon allein diese vorgebrachte Absicht, wenn sie in Erfüllung ginge, von Nutzen sein. Doch nicht das war ihr eigentliches Ziel gewesen. Im Stillen hatte sie Helene ins Herz geschlossen und sie für ihren Bernhard als Frau auserwählt. Vielleicht war das unüberlegt, vielleicht zu voreilig. Und auf jeden Fall war einfach nicht statthaft, so zu handeln. Aber was tut eine Mutter nicht alles, damit ihre Kinder glücklich werden sollen. Und dieses Mal hatte sich, wie wir ja schon wissen, das Mutterherz zu allgemeiner Zufriedenheit nicht geirrt…
   Draußen war es am hellichten Tag plötzlich fast dunkel gewoden. Am Horizont ballten sich schwarze Wolken zusammen. Ein heftiger Sturmwind begann zu toben und peitschte die ohnehin krankhaften Bäumchen und Sträucher auf den Straßen hin und her. Und ganz Südost, ein neuer Stadtteil von Karaganda, hatte sich in undurchsichtige Staubwolken gehüllt. Ein drohendes Gewitter war im Anzug. Ob es erfrischenden Regen bringen würde?
   „Mama“, sagte Helene, „vielleicht kehren wir lieber um und gehen nach Hause. Diese japanische Seide kann uns gestohlen bleiben.“ Frau Linda aber nahm Helene am Arm, zog sie mit sich und suchte mit ihr Unterschlupf in der geräumigen Halle des Postamtes, wo sie gerade vorbeigehen wollten; und in einer Ecke, wo sie niemand stören könnte, sagte sie: „Helene, liebes Kind, wenn es, ach, wenn es um Seide ginge! Da hängt etwas Gefährlichres als dieser Staub in der Luft. Ich habe soeben einen Brief von deiner Mutter gelesen. Er war ja auch an mich gerichtet, ich könne ihn auch als erste lesen. Er liegt in meiner Schublade.“
   Und Frau Linda atmete tief auf und sprach im Flüsterton weiter: „Helene, liebes Kind, du musst dich fassen. Ich fühle es als meine Pflicht, dich vorzubereiten, und du musst dann alles mit Bernhard besprechen. Allem Anschein nach müsst ihr… müssen wir noch einen Kampf ausfechten.“
   Und sie gab die wichtigsten Stellen des Briefes von Irina Petrowna wieder, der eine Woche unterwegs gewesen war.
   Vor ein paar Tagen sei kurz hintereinander Irenchens Vater, dieser Gelehrte, zweimal bei ihnen zu Hause aus dem langjährigen Dunkel aufgetaucht. Nach seinen Worten sei er an einem zentralen Forschungsinstitut angestellt. Er lebe mit einer anderen Frau, die Doktor der Wissenschaften sei. Sie hätten alles, was man sich nur wünschen könnte, bloß keine Kinder. Und er wolle seine Tochter sehen, er habe für sie teuere Geschenke mitgebracht. Und er könnte jetzt selbstverständlich Alimente zahlen, aber er wolle sich endlich scheiden lassen und habe schon einen erfahrenen Anwalt gefunden, der es für durchaus möglich halte, er, Gerhard Müller, ein angesehener Wissenschaftler, könnte vor Gericht den Anspruch erheben, ihm bei der Scheidung seine Tochter zuzusprechen. Und es wäre für ihn potentiell also erreichbar, diesen Prozess zu gewinnen. Aber vielleicht, so meine er, könne man diesen Aspekt auch ganz fair regeln, denn wozu brauche Helene eine Tochter ohne Vater. Und darüber hinaus hätte das Kind bei ihnen die besten Möglichkeiten und Aussichten, einmal eine hochgeschätzte Frau, eine prominente Persönlichkeit zu werden und könne sowohl jetzt als auch künftig ein Leben in Wohlstand führen…
   Draußen hatte sich unterdessen der Sturmwind gelegt, und es ging ein warmer und erfrischender Regen nieder. Und eine Großmutter und eine Mutter, beide von verzweifelten Gedanken gequält, gingen langsam und schweigend nach Hause.

1988

Halb heiter, halb betrübt

Wenn die Blumen blühn im Garten,
heißt´s noch nicht, dass sie drauf warten,
dass ein Bösewicht sie mir nichts, dir nichts pflückt.
Veilchen, Tulpen, Rosen, Nelken –
alle Blumen schnell verwelken,
wenn der Schuh des Zynikers sie niederdrückt.

Refrain:

     Wie kurz ist der Frühling!
     Wie kurz ist der Sommer!
     Im Herbst erst ermisst du, wie schön diese Zeit!
     So zahm die Gefühle
     zu Nutz und zu Frommen
     der jugendlich feurigen Unzähmichkeit!

Frühlingsblumenunterflochten
wirft so manche Steppentochter
einen milden Blick dir zu… und geht vorbei.
In den tiefsten Herzensgründen
lila Fünkchen sich entzünden,
flammen hellrot auf im grauen Einerlei.

Refrain

Schau nicht nach und bleib nicht stehen,
lass die Schönen weitergehen,
wenn auch noch so gut der milde Anblick tut.
Lass die Jugend Blumen pflücken –
Mädchen lieben sich zu schmücken:
Blumen sind Symbole ihrer Liebesglut.

Refrain

1978

O wüsste ich nicht!

Was frag ich, was klag ich, was will ich vermeiden?
Es kann meine Liebe mir niemand verleiden!
Zum Klagen und Plagen gibt´s keinerlei Grund.
So manches im Leben scheint unangemessen,
doch werden am liebsten die Äpfel gegessen,
die reif sind und weich sind und zugespitzt-rund.

Refrain:

     O wüsste, o wüsste, o wüsste ich nicht,
     wie innig, wie innig allein ich dich liebe,
     ich küsste, ich küsste, ich küsste dich nicht –
     du wärest mir fremder als fremd je geblieben!

Ich richte und dichte mir keine Idylle –
es gibt jedoch Männer in Hülle und Fülle:
und einer von ihnen ist sicherlich mein!
Wozu nun das Flennen? Ich werde mich trennen,
ich werde für jenen in Liebe entbrennen…
Doch sagt mir, o sagt mir, wer könnte es sein?!

Refrain

Ich stöhne … und fröne wie früher der Sünde
und suche nach „jenem“ und kann ihn nicht finden:
Nur einen (den meinen) – den hab ich so gern!..
So schieb ich mich trostlos durch Menschengewimmel
und schiffe als Wölkchen am blaugrauen Himmel:
Wo liegt nun mein Hafen? Wo wandelt mein Stern?..

Refrain

1977

Du meine rote Rose!

Die junge Frühlingssaat
sich färbt in blaues Grün.
Und wenn der Sommer naht,
die Rosen reich erblühn.

Refrain:

Du meine rote Rose!
Du meine Ahnungslose!
Du meine Zuversicht!
Mit dir an meiner Seite
die frühlingsblaue Weite
und Glück und Freud verspricht!

Es weicht das fahle Grau,
wenn Saitenspiel erklingt,
wenn himmelblaues Blau
von Liebe sagt und singt!

Refrain

Allein, allabendlich
bei blauem Dämmerschein
erwarte ich dich, o dich
zum ersten Stelldichein!

Refrain.

1976

Sehnsucht

Nächtelang träume ich himmlische Träume,
träum ich von dir, die du tags ach so weit.
Wogen der Leidenschaft wild mich umschäumen,
quälende Unruh mein Herz mir ergreift.

Refrain:

Wann erscheinst, o Geliebte, du mir?!
Liegt mein Weg auch sehr weit,
hoffe stets ich erneut:
Gegen Kummer und Leid –
meine Sehnsucht mich feit,
meine glühende Sehnsucht nach dir!

Schwinden die Wachträume, schwinden die Nächte,
bin ich verbittert, bin ratlos-verwirrt:
Winkst mir zum Abschied da sacht mit der Rechten…
Ob mir das Glück oder Unglück verspricht?

Refrain

Lasst mir die Nächte! O lasst mir die Tage!
Lasst mir die Träume! O lasst mir mein Leid!
Lasst mir die Hoffnung! O lasst mir mein Zagen!
Liebende Herzen sind opferbereit.

Refrain

1975

Herbstlied

Spinngewebe: Weißes Beben.
Purpur, Gold in Park und Hain.
Letztes Mühen: Ein Verglühen
wonniglicher Liebespein.

Refrain:

     Doch wer würde da verzagen!
     Wenn auch herbstlich klingt mein Lied,
     gibt es keinen Grund zum Klagen:
     Ohne Herbst kein Frühling blüht!

Leise Düfte, linde Lüfte,
Blätterfall und Farbenspiel
heimlich necken – sie erwecken
ein beklemmendes Gefühl.

Refrain

Kahle Wälder, leere Felder,
Wolken, tief und regenschwer.
Trüb und trüber zieht vorüber
ferner Träume Sternenheer.

Refrain

Immer älter, immer kälter;
graue Nebel zum Geleit,
All das Bangen und Verlangen
war dann nur ein Hauch der Zeit.

Refrain                                  

1960

Lied von der Liebe

Ich warte und warte und warte…
Wann kommst du, wann kommst du zurück?
Nur Schatten und Schatten und Schatten…
Wo bleibst du, wo bleibst du, mein Glück?

Refrain:

      Ich warte und harre und glaube,
      von zehrender Sehnsucht geplagt.
      Ich lass mir die Liebe nicht rauben!
      Ich hab nur mein Leid dir geklagt.

Die Nächte sind lang und sind dunkel.
Ich harre tagaus und tagein.
Ich träume gedankenversunken
von dir nur, von dir nur allein.

Refrain

Du weißt, wir gehören zusammen.
Du fühlst es ja selber so gut.
Vermochtest doch du, zu entflammen
der Leidenschaft glimmende Glut!

Refrain

Was fang ich nun an mit der Liebe
allein, ohne dich, wie ich bin?..
Was ist ohne dich mir geblieben?
Zu dir zieht es ewig mich hin!..

Refrain

25. Februar 1985

All deine Träume

Ja, wieder ist ein Jahr vergangen.
So schnell wie eine Liebesnacht.
Und wie viel Sehnsucht und Verlangen
und Freude hat dies Jahr gebracht!

Ja, wieder ist ein Jahr verschwunden.
Und mancher Traum blieb unerfüllt.
Und doch: So Manche schöne Stunden
hat deine Tränen dir gestillt.

Unendlich wie der Gang der Zeiten,
erhaben wie das Sonnenzelt,
ergreifend schön wie lichte Weiten
erscheint mir deine Innenwelt!

Nicht jedem ist das Glück gegeben,
zu lieben und geliebt zu sein.
Doch deine Anmut zu erleben
ist wahrlich heller Sonnenschein!

Wie gern möcht´ ich dich wiedersehen
glückselig jedes neue Jahr!
So mögen in Erfüllung gehen
all deine Träume immerdar!

…Und ich – ich suche im Kalender
nach meinem fernen Lebensmai.
Und kalt und fremd wie im Dezember
mein Wunschtraum zieht an mir vorbei.

1960-1970(?)

Deiner Jugend traute Züge

Deine blauen Augen funkeln
wie zwei Sterne auf dem Bild.
Nunmehr sie sich oft verdunkeln,
dicht von Wolkengrau verhüllt.

Und dein Haar – ich seh es wallen
auf dem Bild wie flammend´ Gold.
Bleiche Strähnen heute fallen
in die Stirn dir ungewollt.

Und die Grübchen in den Wangen
sind verschwunden nun total.
Tiefe Furchen hart umspannen
das bekümmerte Oval.

Und dein schlanker Körper wiegt sich
auf dem Bilde hin und her.
Heute aber, Liebste, fügt sich
er dem Walzertakt nicht mehr.

Deiner Jugend traute Züge
hat die lange Zeit verwischt…
Wenn auch Aug´ und Sinne trügen –
weiß mein Herz dich jugendfrisch.

1987