1.
Hier in Steppenblumenheim
lieben alle – groß und klein –
über alles … Streuselkuchen.
Möchtet ihr ihn auch versuchen?
Aber bitte! Bitte schön!
Köstlich schmeckt er! Delikat!
Und der Duft so angenehm!
Stücke wie ein Wagenrad
auf der Zungen gleich zergehn.
Liebe Gäste, bitte esst!
Auf dem Streuselkuchenfest
lässt man keinen Überrest!
Ob sich wer geniert vielleicht?
Greift nur zu und tut nicht fremd,
denn der Streuselkuchen reicht
für ein ganzes Regiment
Leckermäuler. Glaubt es mir.
Streuselkuchen bäckt man hier
größer als… nun, sagen wir,
als das Fürstentum Monaco
(wenn ihr diesen Zwergstaat kennt).
So wird hier drauflosgebacken!
Blumenheim ist allbekannt
als ein Streuselkuchenland.
Ganze Tonnen weißen Zuckers,
ganze Tonnen gelber Butter,
ganze Tonnen feinen Mehls
braucht allein man
für die Bröckchen,
die ein bisschen komisch heißen,
aber doch auch gleicherweise
schön und schlicht und einfach –
Streusel!
Und das ist noch nicht genug.
Noch ein langer Güterzug
Weizenmehl gehört dazu!
(Das du nicht in Ohnmacht fällst –
für den Hefekuchen selbst)…
2.
Doch Blumenheim ist – wie bekannt –
beileibe kein Schlaraffenland.
Es dauerte so ziemlich lang,
bis dass der Streuselkuchen
als harter Arbeit hoher Lohn,
als Schmaus und alte Tradition
ward wieder wachgerufen
und wieder Eingang fand.
Es ist eine lange Geschichte,
die selbst die Zeit gedichtet,
und viele fleißige Menschen
haben die große Wende
und die Mär von Streuselkuchen
Tag für Tag und Jahr für Jahr
auf ihrer Wahrheitssuche
auf immer höherer Stufe
mit Zuversicht und Liebe
allmählich niedergeschrieben…
1954.
Ob denn das Glück uns günstig?..
Der helle Klang der Fröste,
der Tanz der Winterstürme
und Zelte als Behausung
anstatt der warmen Nester.
Der Song der Frühlingswinde
und das Vorausempfinden
der ersten Neulandsaat;
die erste Heideblume,
die erste Ackerkrume,
die erste große Tat;
Das Recken und das Strecken
der auferwachten Steppe
nach tausendjährigem Schlaf.
Die himmelblauen Augen
der Mädchen aus Rjasan,
die braunen und die grauen,
die schwarzen – lodernd Feuer! -,
die sanften und die treuen
der Mädchen aus Tambow,
Woronesh, Jerewan…
So fing die Freundschaft an…
Die Glut der Sommersonne.
Der Weizen – hoch und dicht.
Die ersten Dezitonnen.
Viel Korn das Feld verspricht.
Und Tag und Nacht am Steuer
mit Schwung und Jugendfeuer.
Wer mühte sich da nicht?!.
Auch manche miese Schlappe
verkroch sich auf dem Acker
wie eine listige Ratte,
um heimtückisch ihr Opfer
beim Kragen gleich zu packen.
Des Fehlgriffs Bitternis,
des Sandsturms Hinterlist…
Das Neuland nichts vergisst.
Jedoch die Segel sind gehisst!
Der Fleiß der rauhen Hände
und Hoffnung ohne Ende,
das Gold der Neulandfelder,
der Mut der Neulandhelden;
der freiwillige Einsatz
so vieler tausend Menschen –
hier brüderlich vereint -,
damit für ihre Kinder
die Sonne immer scheint,
damit auf Erden Frieden währt –
das ist der stolze Anfang
der Streuselkuchenmär,
das Was und das Wie
in der brausenden Sinfonie
von Farben
und Freuden
und Sorgen,
die die Neulanderschließung
in ihrer Breite und Tiefe
in sich geborgen…
3.
1955,
im blühenden Mai,
erblickte Mariechen
in der Neulandsteppe
(die Siedlung lag zu weit,
und es reichte die Zeit
für’s Nachhaus
nicht mehr aus)…
erblickte Mariechen
am Morgen, am frühen,
in einem kleinen Zelt
auf einem großen Feld
das Licht der Welt
und war
bei der Neulanderschließung
von Geburt an dabei…
Jetzt waren die Bäckers
eine junge Familie.
Denn sie hatten eine Tochter!
(auf Söhne verständlicherweise
die Eltern noch hofften).
Sie hatten ihren eigenen Herd,
wo es Licht gab und Wärme
und Freuden und Sorgen,
wo die Flammen der Herzen
erleuchteten hell
ihren Weg in das Morgen…
1955,
in jenem denkwürdigen Jahr,
hat bei der Ernteeinbringung
(in der einst
so trostlosen Steppe!)
der Kombineführer Bäcker
mit seinem Gehilfen Miroschkin
über 600 Hektar Weizen
gemäht und gedroschen…
Und in den weiten Jahren
haben die Neulandfahrer –
aus allen Teilen
des Landes gekommen,
Vertreter
von 20 Nationalitäten
und Völkerschaften,
die in Blumenheim nunmehr
Bekanntschaft machten
und Freundschaft schlossen, –
im Winter und Sommer,
bei Wind und bei Wetter
ihr Bestes getan,
um die fruchtlose Steppe
(die man anfangs mitunter
auch grob hat behandelt)
in ein blühendes Land
zu verwandeln…
4.
Nach Jahrzehnten übernahmen
die Söhne und Töchter
der Miroschkins,
Ibrajews
und Bäckers –
der Neulandpioniere –
hier in der Steppe
die Neulandstafette…
Sie sitzen am Lenkrad
des Traktors im Frühling,
sie führen beim Ernten
gekonnt die Kombine,
sind Techniker, Schäfer
und Installateure –
sind schöpferisch
schaffende Menschen
vom Schlag ihrer Väter…
Nebenbei ist zu sagen –
Mariechen ist ganz
„aus der Art geschlagen“:
Maria Johannowna Wagner
ist Dozentin
an der Universität
und unterrichtet dort
deutsche Sprache –
erfolgreich, beflissen.
Auch dort wird nun eben
gepflügt und gesät,
und man erntet auch ein –
auf dem Felde des Wissens
Rückgrat für’s Leben…
1984:
Neulandjubiläumsjahr!
So mancher Neulandveteran
freut sich
und plagt sich
und fragt sich,
ob denn schon dreißig Jahre
vergangen,
die so manches
unvergessliches Bild
in seinem Gedächtnis
erwecken…
Achtundfünfzig jetzt zählt
Johann Bäcker…
Doch wenn das Herz sich freut
so innig und unbefangen,
dann eilen auch düstre Gedanken
wie leichte, weiße Wolken
wieder von dannen…
Und wie damals,
vor dreißig Jahren,
ist Bäcker
verliebt in die Steppe,
die vor dem inneren Auge
vorübereilt
wie das russische Dreigespann
und dennoch verbleibt
in Zentralkasachstan.
Und Johann Bäcker vergisst
die Reparaturwerkstätte,
wo er schon jahrelang Leiter ist,
und lässt sie im Stich
und zieht
zusammen mit seinen Söhnen
Johann und Peter und Dietrich
aufs Feld, wo man friedlich,
mit Stolz und mit Freude
erntet das Sommergetreide,
dass niemand im Winter
braucht Hunger zu leiden,
dass im Frühling dann wieder
die Steppe erblüht
so schön
und so reich
wie noch nie,
dass die Menschen
all leben in Frieden,
dass nie auf der Erde
wird wieder gekriegt!..
***
Wir waren vor kurzem
in Blumenheim drunten
und kamen bei Bäckers
mal wieder vorbei
und haben bis spät
dann zusammengesessen
und Kuchen gegessen
und Kaffee getrunken
und Neulandgeschichten
einander erzählt.1984
