Allabendlich

Die vielen Briefe,
die in Gedanken
mein stilles Leid
so oft geschrieben
in langen Nächten
tiefer Einsamkeit,
sind unbeantwortet
bis heut geblieben,
woraus ich schließe:
Du fandest keine Zeit.

So möchte ich
dein Schweigen deuten.
Und kein Problem
ist zu erläutern.
Und keine Schuld
ist zu beweisen…
Doch mich beschleichen
manchmal bange Zweifel.
Und mein bedrängtes Herz
ist voller Ungeduld…

Ich hätte dich
vielleicht beleidigt.
Mit einer Zeile.
Mit einem Satz.
Mit einem Wort…
So hat mein Liebesgott
dein langes Schweigen
immerfort verteidigt
in meinen Träumen –
meinem Zufluchtsort.

Und wieviel Bilder
vergangener Zeiten,
die mich berauschen
und mich begeistern!..
Und mir erscheint –
o Zuversicht! –
aus blauen Weiten
vertraut wie einst
dein jugendliches
teures Angesicht…

Drum bete ich
allabendlich
und warte sehnsuchtsvoll
im Traum auf dich.

                        1. September 1990