Gewalt

Leidgeprüfte Rußlanddeutsche,
die verlästert sind bis heute…
Was erwartet sie im Lande,
wo sie einstmals Zuflucht fanden?..

Alexander und Christine,
die verlobt sind,
                 hat die Willkür
jäh getrennt
            und ‚rausgeschmissen
in die Sümpfe der Zerrüttung,
in die Mühlen der Vernichtung…
Doch die beiden überstanden
all die Qualen. Und sie waren
von der Fügung tief ergriffen,
als die Gnade und die Güte
endlich sie zusammenführten…

Oh, Berührung! Es entflammen
die Gefühle. Und, umschlungen,
triumphieren sie und fliegen
hin zum Tempel ihrer Träume
auf der grünen Wunderwiese
der Berückung und Entzückung…

Ihren Himmel teilt man wieder.
Und sie leiden. Und sie frieren
in der Hitze jener Wüste,
wo versandet sind die Brunnen
der Vernunft und Nächstenliebe;
wo die Lügen und Intrigen
immer neue Ränke schmieden;
wo die Quellen der Verheißung
immer mehr und mehr versiegen
und dem Sandsturm unterliegen…

Alexander und Christine
sind getrennt,
              getrennt geblieben
bis zu ihrem Lebensende.
Und begraben beide liegen –
er im Norden, sie im Süden…
Wie es die Gewalt entschieden…

Schwergeprüfte Rußlanddeutsche,
die geknebelt sind bis heute…
Oh, mein Volk hat bis zur Neige
längs geleert
          den Kelch der Leiden.

30. September 1990