Diesiges Wetter,
verchleierte Berge.
Alles mit Nebeldunst
trostlos verhüllt.
Düstere Stimmung.
Gewitter verheißend.
Seufzen und Stöhnen,
von Trübsinn erfüllt…
Es siedelten um – die Gebrüder
Johannes und Christian Lieder,
jeder mit seiner Familie –
wie sie hofften und glaubten
und wies´s in den Briefen auch hieß –
nach dem Westen hin – ins Paradies.
Es gab eine Tante,
eie blutsverwandte,
die aus der Ukraine herstammte
und die es während des Krieges
nach Deutschland verschlagen.
Die Tante war alt und zählte die Tage,
die ihr noch geblieben.
Sie hatte nicht viel und nicht wenig
(ihr gehörte der Reichtum persönlich):
eine Rente, ein Häuschen, ein Gärtchen
und Kleider und Schuh´
und dazu –
einen Wagen.
Es war also alles vorhanden.
So lässt denn die Tante
Ihre fernen Verwandten,
die in „Armut und Not“ – wie es heißt –
in Rußland dort leben,
hinüberkommen, um ihnen
Zuflucht und Obdach zu geben.
Das Wunder… Das Himmelreich auf Erden…
Und der Preis dafür?
Alles erfährst du ereinst –
wenn es schon zu spät,
wenn vereinsamt du weinst.
Angekommen im gelobten Lande,
wirst, Heimkehrer, vorerst
im Aufnahmelager du landen,
wo man dir alles verspricht.
(Hab´ keine Angst:
Ein Konzentrationslager ist es ja nicht.
Die Menschen – wenn auch konzentriert,
doch vorläufig nur isoliert.)
Wer weiß, wie lang du dort bleibst.
Doch hoffentlich nicht zu lange.
Du kommst mit den Nächsten –
Wenn sie es wollen – schließlich zusammen.
Du musst dich vor allem
an das Gute und Schöne
und an die „Freiheit“ gewöhnen.
An die Sitten und Bräuche,
die als gewesener Sowjetdeutscher
du weithin vergessen.
Und die Verwandten?
Die Onkel und Tanten?
Na, wie man es nimmt.
Am meisten sind sie,
wenn endlich du drüben,
dir gegenüber
nicht mehr so gastfreundlich
wie in den Briefen,
die sie eins geschrieben,
Es lohnt sich auch nicht sie zu tadeln;
Sie allesamt haben
ihre eigenen Freuden und Sorgen und Plagen,
jeder empfindet für sich seinen Harm –
der eine zu reich und der andere zu arm…
Noch gut, wenn du Arbeit gefunden
Im Lande des „Wirtschaftswunders.“
Du wirst es allmählich begreifen
und den misslichen Zustand erfassen:
Da stehst du allein in der Fremde –
vereinsamt, vergessen, verlassen…
Du ließest dich nun mal betören…
Deine Hoffnung ist leicht zu zerstören:
Du findest deine Lage empörend,
doch will deine Klage niemand erhören…
Schwindene Jahre.
Versiegende Hoffnung.
Nagender Kummer.
Und Unheimlichkeit.
Gähnende Leere.
Verwirrte Gedanken.
Sehnsucht und Heimweh.
Verzehrendes Leid…
***
Nun fühlst du erst, was du verloren:
Dein Zuhause. Wo einst du geboren.
Deine Arbeit, deine Freunde.
Deinen Skrupel und Zweifel.
Das Mitgefühl und das Verständnis.
Deine Pflichten und Rechte.
Die Sorge um dich. Deine Zuversicht.
Die Welt deiner Jugendträume.
Die knospenden Frühlingsträume.
Die heilige Stätte deiner glücklichen Liebe.
Den Morgentau dort auf der Wiese.
Die Apfelbäume voller Blüten.
Das Zwitschern der Vögel im Garten.
Das Summen der emsigen Bienen.
Die Bläue des friedlichen Himmels.
Der Kinderschar fröhliche Stimmen.
Die Kühle im Schatten der Pyramidenpappeln.
Das Rauschen der hohen Wipfel.
Den ewigen Schnee auf den Gipfeln.
Deine einzige Heimat. Dein Vaterland.
Wo einst deine Wiege stand.
1984
