Die Not eint die Völker

Die Welt ist alt. Die Welt ist jung.
Die Welt ist klug.
         Die Welt ist manchmal dumm.
Bald schreit sie laut.
            Bald schweigt sie stumm.
Bald weint sie mitleidsvoll,
       bald zischt sie voller Groll,
bald kennt sie kein Erbarmen…
Und – ach! – die Menschen
           auf dem kleinen Erdenrund
verwechseln oft die Grenzen
              zwischen Gut und Böse,
verlieren die Vernunft
und bauen stur Vernichtungswaffen,
um selbst mit ihrem Fluch
die letzten Hoffnungen
                      dahinzuraffen,
statt sich einander zu umarmen
       und wie vernunftbegabte Wesen
in Eintracht
         und in Freundschaft
                    hier zu leben…

Der Untergang Pompejis
   hat die Menschheit nicht belehrt.
Noch Tausende von Katastrophen –
und weithin nicht allein
       von der Natur hervorgerufen –
sind oft genug danach geschehen.
Doch hat der Bruderzwist
     und Völkermord nicht aufgehört.
Denn Gauner und politische Ganoven,
die jeher
     die Gerechtigkeit verfluchen, –
sie haben in so manchem Land regiert
und sich daran ergötzt
                    und triumphiert,
wenn sie das Volk
   zur Selbstvernichtung aufgehetzt,
was Millionen Opfer
                jedesmal gekostet…

Zu einem neuen, furchtbaren Pompeji
ist nach fast zwei Jahrtausenden
das kleine Land Armenien geworden.
Und seine Klagen steigen immer höher
und türmen auf sich
         wie die Häusertrümmerwehen,
worunter Tausende von Opfern
          ihren frühen Tod gefunden.
Und in den Herzen
               seines Volkes klaffen
    tiefe, unheilbare Wunden.
Und seine Schmerzen
                    breiten
    sich nun aus nach allen Seiten –
vom Süden bis zum Norden,
           vom Osten bis zum Westen.
Und unser ganzes großes Land
hat die Tragödie
        der Armenier tief empfunden:
Aus allen Ecken und aus allen Enden
des Riesenlandes eilen –
                   wie auf Flügeln –
so viele wahre Brüder
                  und die Schwestern
   der Barmherzigkeit herbei
                         und reichen
dem Brudervolk die Hand
         des Mitleids und der Hilfe,
der Herzensgüte und der Wärme,
um seinen Seelenschmerz zu mildern.
Die große Not –
                sie eint
        das Volk und macht es stark.
Und viele, die lebendig
      in den Trümmern dort begraben,
               werden noch gerettet.
Doch ach so viele, viele liegen
               unter den Ruinen tot.
Behutsam werden
         auf den Rasen sie gebettet.
Und Sarg um Sarg
nun tragen
      die Verwandten und die Freunde
        händeringend, bitter weinend
zur ew’gen Ruh die vielen Toten –
die Opfer
   der verhängnisvollen Katastrophe.

Und Hilfe leistet
               nicht nur unser Land.
Es ist jetzt allbekannt:
                    Die Bruderlände und viele Staaten und
Verbände
                aus der ganzen Welt,
darunter solche, die vor kurzem
      wir noch angeblickt befremdet,
beweisen heut ihr Mitgefühl
              und ihre Nächstenliebe
und helfen in der großen Not
      dem Volk Armeniens und spenden
recht gern ihm ohne Gegenleistung
    Blut, und Mut, und Geld
        und Wärme, Licht und Brot…

Die Welt ist alt. Die Welt ist jung.
Die Welt ist wach und klug:
Gelitten
     hat die Menschheit schon genug.
Sie sehnt sich nach Versöhnung
                 und Versittlichung.
Die Totenglocken läuten:
                Umwertung der Werte!
Die Tausenden der Umgekommenen
                und der Versehrten –
sie mahnen uns:
             Verhindert alle Kriege!
Denn Sorgen und so manche andre Übel
           gibt es immer zur Genüge.
Drum mag die Völkerfreundschaft
                auf der Erde siegen:
Umarmt euch, Menschen, allzumal
und lebt wie einige und gute Brüder!

                                         1988