Spätherbst der Erle

Steht eine Erle
gedankenversunken
im herbstlichen Wetter
und schaut in die Ferne…
Und vor dem inneren Auge
der ehrwürdigen Greisin
ziehen die Jahre vorüber –
all jene Frühlinge,
all jene Sommer
mit all ihrem Zauber:
mit innigen Liedern,
mit flimmernden Sternen
am nächtlichen Himmel,
mit sonnenbeschienenen
Gärten und Wiesen,
mit Regen und Wind…

Warum ist die Erle
so nachdenklich heute gestimmt?
Sind es die Sorgen des Alters?
Sind es die eisigen Stürme
der Spätherbstergüsse,
die sich gewiß vergewissern
wollen (das sind sie gewohnt!),
ob alle Blätter verweht,
ob alle Zapfen gezählt?..
Beklommenes Schweigen.
Zäh ist ihr Wille!
Kahl sind die Zweige.
Und lähmende Stille
bis tief in die Wurzeln…
Ob sie der Winter verschont,
damit sie den Frühling erlebt?

                                  1987