Der Greis

Dort auf der grünen Halde
am Rand des Fährenwaldes
thront ein altersgrauer Stein –
ein Denkmal längst vergangner
Zeiten. Sie gruben ein
in diesen Stein verfangner
Schicksalswenden Wohl und Weh.

Ich steh und seh, wie zäh
der Felsblock überstanden
all die Zeiten, die da kamen,
weilten und verschwanden.
Wie einst sie Abschied nahmen
und – scheidend – auf des Heiden
Antlitz drückten ihr Ade.

Steinalt. Ein stummer Greis.
Kein Ruhmesglanz ihn schmückt.
Zerfurcht ist seine Stirn,
verfinstert oft sein Blick.
Doch alles, was er weiß,
kann selbst der kühne Geist
der Zeiten kaum verwirren.

Die Schrammen und die Narben,
die Furchen und die Falten
im Gesicht des grauen Alten
sind Spuren der Naturgewalten,
sind Schicksalsschläge
auf dem langen Wege,
durch Zeit und Raum
               verallgemeinert.

Sind Kampfesmut und Sorgenlast,
sind Liebesglut und Sonnenglas,
sind Leidenschaft und Rösselsprung
und sind Erinnerung.
Sind ferner Ahnen Siegesfahren
und sind, o Mensch,
auf deinen Weg Ermahnung,
im Zeitenlauf versteinert.

27.05.1983